Morituri. Roman – Olga Flor
Eine Rezension von Maria Aschenwald
Das Cover von Olga Flors achtem Roman – eine gelbe Kugel mit leuchtend roten Tentakeln – lässt an Corona denken. Doch es handelt sich um den Sonnentau, eine fleischfressende Pflanze, die auf Moorböden wächst. Das Dorf, in dem die Handlung spielt, liegt in der Nähe eines Moors. Die Morituri, „die dem Tode geweihten“, dem sozialen, dem moralischen oder dem realen, bevölkern den Roman.Unter ihnen ein „Mohr“, ein dunkelhäutiger Flüchtling, und eine Frau Dr. Mur.
Max hat seinen Job als Architekt verloren, seine Ehe ist gescheitert , nun lebt er in diesem Dorf ein Aussteiger- und Außenseiterleben als Imker, Hühnerhalter und Tomatenzüchter mit der ständigen Frage nach dem Sinn und mit dem Gefühl der inneren Leere: „Was mache ich mit diesem Restleben, diesem angebrauchten Überbleibsel?“ Trotzdem wird er an einem Experiment zur Lebensverlängerung teilnehmen.
Seine Tochter Ruth ist Risikomanagerin , stellt Max‘ Lebensweise in Frage, will aber auch aussteigen und zur Journalistin umschulen.
Die Bürgermeisterin, im „Zivilberuf“ Wirtin, politisch rechts der Mitte stehend und „patriarchatskompatibel“ will mit dem Good Life Center, das unter dem Moor gebaut und in dem die Verjüngungsexperimente durchgeführt werden sollen, Geld machen. Dabei sind Korruption im Spiel, Gesetze, die den Umweltschutz aushebeln und Skrupellosigkeit.
Auch Jackie, Max‘ Nachbarin ist geschäftstüchtig, sei es mit ihrem Online-Handel oder mit dem Bau des Good Life Centers und der Idee für die Experimente junge Asylwerber einzusetzen, die ihre Körper im Austausch für das Versprechen eines Aufenthaltstitels zur Verfügung stellen sollen.
Die nur Gummistiefel genannte zynische Texterin schreibt für Politiker und Kapitalisten und macht für Geld praktisch alles.
Ein Attentäter, hasserfüllt, frauenfeindlich, xeno- und homophob, sorgt für den Showdown.
In kurzen Kapiteln, die immer aus der Sicht der jeweiligen ProtagonistInnen erzählt werden, beleuchtet Olga Flor mit sprachlichem Furor sarkastisch und grell gesellschaftspolitische und menschliche Themen unserer Zeit und vor allem auch die Niederungen der österreichischen Innenpolitik. Dicht, voller Anspielungen, Wortbezügen, kühner Einfälle und sprachlicher Kapriolen ist diese bitterböse Satire trotz dystopischer Grundstimmung ein Lesevergnügen .
Olga Flor, geboren 1968 in Wien, studierte Physik und arbeitete im Multimedia-Bereich. Seit 2004 ist sie freie Schriftstellerin, schreibt Romane, Kurzprosa, Essays, Theater- und Musiktheaterarbeiten. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien u.a. den Anton-Wildgans-Preis, den Veza-Canetti-Preis , den Franz-Nabl-Preis der Stadt Graz und war 2014 für den Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert. Morituri war auf der Shortlist des österreichischen Buchpreises 2021.
Maria Aschenwald , März 2022
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Olga Flor: Morituri. Roman
Salzburg: Verlag Jung und Jung 2021
208 Seiten
22 EUR
ISBN: 978–3‑99027–246‑6