Selbstporträt mit kleinen Sonnen – Irene Wondratsch
Eine Buchrezension von Brigitta Höpler
Titel und Cover könnten nahelegen, Irene Wondratsch hätte ihre Autobiografie geschrieben. Tatsächlich entwirft sie spielerisch, experimentell und sprachgewandt Skizzen und Bilder aus ihrem Leben, – Erinnerungen und Phantasie, Dichtung und Wahrheit gehen dabei ineinander über.
So ergibt sich das Lebensbild einer Frau von den 1950er Jahren bis heute. Ähnlichkeiten mit der Autorin sind nicht zufällig, sondern durchaus gewollt. Irene Wondratsch erzählt nicht einfach nach, sondern erfindet und poetisiert.
„Mein Wunsch nach literarischem Ausdruck entspringt dem Bedürfnis, meinem Leben Gestalt zu geben und auch die Realität und Banalität des Alltags zu überschreiten“.
Das ist ihr mit dem Buch tatsächlich gelungen! Sie hebt mit dem Kleid ihrer Mutter und einem Heißluftballon ab, begegnet Schopenhauer auf einer Luftmatratze, trifft einen Taucher in der Hamburgerstraße, trinkt Kaffee mit einem Kontrabassisten der Wiener Philharmoniker, wandert mit Kriemhild durch die Weingärten … Schreibend stillt sie ihre Sehnsucht nach dem Außergewöhnlichen, dem Wunderbaren, erschafft Phantasiewelten, die auch den Alltag des Lesers, der Leserin poetisieren.
Schräg und humorvoll, wehmütig und ironisch, poetisch und überraschend ist die Erzählung, die sich in fünf Kapitel gliedert: „Am Start“, „Begegnungen“, „Ich und E“., „Zartbitterschokolade“ und „Stundenglas“, dazwischen eingestreut immer die passenden Kochrezepte. Durch das Stundenglas rinnen Listen „Was ich aufbewahrt habe“, „Was ich vermisse“, „Was ich nicht vermisse“. Wir begleiten die Autorin auf Peterburger Schlittenfahrten genauso gerne wie auf den Zentralfriedhof zu ihrem eigenen Begräbnis und in ein Zeitloch im Donaubeisl.
Brigitta Höpler, Dezember 2018
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Irene Wondratsch: Selbstporträt mit kleinen Sonnen
Münster: Oktober Verlag, Roland Tauber, 2018
133 Seiten
Euro: 13,30
ISBN: 978–3‑946938–45‑3