Wolfs Tochter – Erika Wimmer Mazohl
Eine Rezension von Kathrine Bader
Heuer wäre Erika Danneberg 100 Jahre alt geworden. Dies nahm Erika Wimmer Mazohl zum Anlass, sich dieser vielseitigen Persönlichkeit zu widmen. Sie war Übersetzerin, Psychoanalytikerin, Friedensaktivistin, politisch aktive Kommunistin und nicht zuletzt auch Schriftstellerin.
Wimmer Mazohl nähert sich Danneberg aus fünf unterschiedlichen Perspektiven an, entsprechend den fünf Abschnitten des Buches. Bis auf das zweite Kapitel sind es fiktive Ich-Erzählerinnen. Beinahe atemlos reflektiert im ersten Kapitel eine Schriftstellerkollegin ihre eigene Schreibobsession, ihre schwere Krankheit, ihr Dasein, und setzt es in Bezug zu Erika Dannebergs Leben. Bei näherer Kenntnis ist in diesem Ich Marlen Haushofer erkennbar.
Im zweiten, dem Buch seinen Titel gebenden Abschnitt betrachtet eine neutrale Erzählerin die Ehe mit Hermann Hakel, dem zuliebe Danneberg zum Judentum konvertiert und dem sie – „natürlich“ ohne Bezahlung – lästige Arbeiten abnimmt. Zugunsten seines Schaffens als Literaturvermittler stellt sie ihr eigenes Schreiben hintan, nicht zuletzt aus einem Minderwertigkeitsgefühl ihm gegenüber.
Einer imaginierten Erika Danneberg wird im dritten Abschnitt eine Stimme verliehen. Er kreist um ihre Tätigkeit für Berthold Viertel, die sie in ihrer Pflichtbeflissenheit an den Rand ihrer Kräfte bringt.
In Kapitel vier thematisiert eine Archivarin aus heutiger Sicht die physische und psychische Gewalt gegen Frauen. Auch Danneberg hatte verbale Gewalt durch ihren eloquenten Ehemann in Form herabsetzender Äußerungen erfahren, außerdem schrieb er in ihre Tagebücher, riss sogar Seiten heraus. Zudem betrog er sie schamlos. Die Abwendung von ihrem Vater, einem bekennenden Nationalsozialisten, kommt hier ebenfalls zur Sprache.
Interessant auch das erfundene Alter Ego Hermann Hakels im letzten Teil, das einerseits mit diesem abrechnet, ihm andererseits Geistreichtum und ein gewisses Charisma zuspricht.
Einfühlsam, jedoch durchaus differenziert, lässt uns Erika Wimmer am Leben Dannebergs Anteil nehmen. Wörtliche Zitate aus dem umfangreichen Tagebuchbestand fließen organisch in den Text ein. Als Grundlage dienten ihr die Recherchen im Brenner Archiv, das den Nachlass verwaltet. Dabei konzentriert sie sich auf die Dekade nach dem Zweiten Weltkrieg.
Der Roman weckt auch die Neugierde, sich näher mit der Wiener Literaturszene der Nachkriegszeit rund um die Schriftstellerinnen Marlen Haushofer, Ingeborg Bachmann, Hertha Kräftner, Dorothea Zeemann und anderen zu befassen.
Zu Wimmer Mazohls Roman ist übrigens die zeitgleich erschienene Biografie Dannebergs von Christine Riccabona zu empfehlen, zu der demnächst eine eigene Rezension folgt.
Kathrine Bader, im Juni 2022
Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser*innen verantwortlich.
Erika Wimmer Mazohl: Wolfs Tochter
Innsbruck: edition laurin – Universität Innsbruck 2022
200 Seiten
22,00 EUR
ISBN: 978–3‑903539–11‑2
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Ein Gespräch Wimmer Mazohls und Christine Riccabonas über Erika Danneberg