Zeit des Wartens
Ein Text von Martina Bachtrögler aus MOSAIK
In ihrer dunkelblauen Kleiderschürze sitzt Oma mitten im Raum auf dem abgewetzten weißen Küchensessel. Den Weidling zwischen den Oberschenkeln eingeklemmt schlägt sie ein auf den Germteig. Tausend Schläge braucht er. Und Salz, unbedingt Salz. Das gleichmäßige Klopfen des Kochlöffels an die gerundete Emailwand, der Duft von Zitronenschale und die bereitstehenden Rosinen schüren Vorfreude. Ich koste die Zeit des Wartens aus bis in die kleinste Belanglosigkeit.
Der Teig zugedeckt über der Hitze des Wasserschiffs, ruht, schwillt an, braucht seine Zeit. Oma wird sich an den Tisch setzen. Auf Opas Platz, am kurzen Ende der Eckbank, wo sie sich immer hinsetzt, wenn Opa nicht da ist. Da, wo das Gewölbe so niedrig ist, dass es eine ganz eigene Geborgenheit gibt. Der Kaffee im Halbliterhäferl wird dampfen. Oma und Onkel Lois werden ein paar Worte wechseln. Nicht zu viele. Ein paar Sätze, die den anderen wissen lassen „alles ist in Ordnung“. Ein Ritual, eingespielt seit Jahrzehnten. Genauso wie das Befestigen der Mohnmühle am Tischrand. Während ich die Nüsse mahlen darf, ist das Mahlen des Mohns Onkel Lois vorbehalten. Oma wird zwei Emailreindln auf den Ofen stellen. Das hellblaue für die Nussfülle, das weinrote für die Mohnfülle. Wenn die Reindln an den lauwarmen Rand der Ofenplatte gezogen sind, wird Oma den Teig auf das Nudelbrett kippen. Durchkneten, auswalken, die Füllen aufstreichen, Rosinen auf jeweils die Hälfte streuen, einrollen, in die Bratpfanne heben, nochmal gehen lassen. Jeder Handgriff sitzt. Geschirr abwaschen, wegräumen, Strudel ins Rohr schieben, Ofentürl auf, Holz nachlegen. Oma hat es genau im Gefühl, wie viele Scheite es braucht für einen perfekten Strudel. Nur kurz wird er nach dem Backen Zeit zum Auskühlen haben. Oma wird frischen Kaffee in der alten Karlsbader Kanne aufbrühen. Richtigen Kaffee, nicht den Zichorienkaffee, der den ganzen Tag über bereit steht.
Die Zeit des Wartens ist vorbei, wenn die Familie rund um den großen Küchentisch sitzt, die alte Nachbarin mittendrin, der Kaffee in bunten Kaffeehäferln auf dem Tisch und, noch warm, Omas Nuss- und Mohnstrudel.
Weitere Texte von Martina Bachtrögler finden sich in der Lehrgangspublikation „Mosaik“ (herausgegeben von Martina Bachtrögler und Sabine Wagner-Fassmann), die im März 2019 bei Fabrik Transit erscheint und bei der Abschlusslesung am 16. März im Café Museum präsentiert wird.
Martina Bachtrögler
Geboren 1968 in Niederösterreich, lebt und arbeitet im Mostviertel. Viel- und Querdenkerin, die das Spiel mit Bild, Schrift und Sprache liebt. Beschäftigt sich mit Natur und ihren Wirkungen auf den Menschen, mit Beziehungen, Psychologie, Lieben, Scheitern, Träumen, Sandburgen, Gelingen, Luftschlössern, Seifenblasen…
Sie ist Teilnehmende des Lehrgangs Schreibpädagogik 2018/2019.