„Ein Leben ohne Internet? Unvorstellbar!“
Ein Interview mit Britta Mühlbauer
Dass sie ihr ganzes Leben über das Internet organisieren könnte, ist Dozentin Britta Mühlbauer erst durch den Corona-Lockdown klargeworden. Doch so aufregend sie Video-Konferenzen und Online-Lehren fand/findet – die Schattenseiten gibt es auch.
BÖS: Ist das Internet für Dich mehr Fluch oder mehr Segen?
Britta Mühlbauer: Am Anfang des Corona-Lockdown habe ich befürchtet, dass das Internet zusammenbrechen könnte. Wenn das passiert wäre, hätte das Zuhausebleiben wahrscheinlich nicht so gut funktioniert. In dieser Zeit ist mir klar geworden, dass ich theoretisch mein ganzes Leben übers Internet organisieren könnte. Grundnahrungsmittel, Druckerpatronen, Bücher kaufen. Essen bestellen, unterrichten, Yoga machen, ins Museum, ins Kino, ins Konzert gehen. Ehrlich gesagt hat mich die Fülle des Angebots erschlagen. Ich habe mich gefragt, würde ich mir das analog ansehen oder anhören? War die Antwort Nein, musste ich auch das auch im Netz nicht haben. Videokonferenz war etwas Neues und Aufregendes. Privat und beruflich. Allerdings verlangt die virtuelle Kommunikation eine hohe Konzentration und instabile Verbindungen sind nervig. Ich war und bin trotzdem froh, dass es diese Möglichkeit gibt.
Über die Tatsache, dass ich bei allen Konferenz-Programmen auch mit persönlichen Daten bezahle, ohne zu wissen, was da abgegriffen wird, ist ein beunruhigender Gedanke im Hintergrund. Das betrifft übrigens alle kostenlosen (und wahrscheinlich auch die kostenpflichtigen) Internetseiten.
Als Autorin interessiert mich natürlich auch die Frage nach dem Urheberrecht im Netz. Wenn ich analog Wissen, Zeit, Inhalt zur Verfügung stelle, wenn ich ein Buch veröffentliche oder daraus vorlese, werde ich dafür bezahlt (meistens). Im Internet ist das nicht geregelt.
Ich kann der Idee der freien Verfügbarkeit von Information durchaus etwas abgewinnen, allerdings geht das auf lange Sicht nur unter der Voraussetzung eines bedingungslosen Grundeinkommens.
Das Internet ist noch jung. Ich bin neugierig, wie es sich weiterentwickeln wird, und ob wir uns seiner totalen Kommerzialisierung widersetzen können. Im Moment scheint es eher in diese Richtung zu gehen. Da wird zum Beispiel allen Ernstes vorgeschlagen, kommerziellen Nutzern ein schnelleres Internet zur Verfügung zu stellen als privaten!
BÖS: Wann verwendest Du für Deine Arbeit das Internet?
Britta Mühlbauer: Vor allem zur Informationsbeschaffung. Das Internet hat das Recherchieren enorm erleichtert. Vom Blick ins Wörterbuch über den YouTube-Beitrag über den Bau eines Formicariums (=künstlicher Ameisenbau) bis zur Kontaktaufnahme per Mail. Natürlich weiß ich, dass nur ein Bruchteil der Inhalte im Netz überprüft und damit vertrauenswürdig ist. Deshalb schaue ich immer an mehreren Stellen nach. Und es gibt ja auch die redaktionell betreuten Seiten.
Seit Corona nutze ich das Internet auch zum Unterrichten. Gitarrenunterricht ist nur notdürftig möglich. Für Schreibworkshops bieten Videokonferenzen interessante Features. Ich bin immer noch dabei, alle Möglichkeiten zu entdecken.
Soziale Medien nutze ich sehr eingeschränkt. Sie sind Zeitfresser. Ich bekomme unzählige Informationsbruchstücke, mehr oder weniger relevant und oft von Menschen, mit denen ich im realen Leben nur selten zu tun habe. Dieser Informations-Overkill macht mich nervös und unzufrieden. Ich weiß, dass ich als Autorin aktiv netzwerken sollte. Aber es liegt mir nicht, mein Leben ständig zu dokumentieren. Inzwischen kommen allerdings auch die meisten Informationen über Veranstaltungen, Buchneuerscheinungen, Wettbewerbsausschreibungen etc. nur noch über Social Media. Also bleibe ich dabei. Und natürlich schreibe ich E‑Mails. Das meiste ist beruflicher Schriftverkehr. Ich habe mir angewöhnt, die Post zu bestimmten Zeiten zu erledigen, beispielsweise am Ende eines Arbeitstages und auf keinen Fall in der Zeit, die ich für mich als Freizeit definiere. Das war ein Lernprozess. Und nicht immer halte ich mich an meine eigene Vorgabe.
BÖS: Kommt in deiner idealen Welt das Internet vor oder geht es ganz ohne?
Britta Mühlbauer: Vorübergehende freiwillige Internet-Abstinenz ist das eine, das ist erholsam. Aber ein Leben ganz ohne Internet? Nein! Hilfe! Unvorstellbar!
15. Juni 2020
Britta Mühlbauer leitet den ONLINE-Workshop „Der boshafte Blick – Ironie – Satire – Parodie“ am 4./5. Juli 2020.
Foto: Ela Angerer