Kollektiv22
Ein Rückblick von Tobias March
Eine “normale” Lesung war dies keineswegs. Am Samstag, den 18. März 2023 um 19 Uhr treffen sich alle, um den Ausführungen des Lehrgangs 2022/2023 des BÖS (=Berufsverband österreichischer Schreibpädagog*innen) zu lauschen.
Unser Atelier war rappelvoll und bis auf den letzten Platz besetzt. Toll, wie viele Menschen der Poesie lauschen wollen.
Moderatorin Erika Kronabitter stellt uns alle Lesenden vor.
Die Performance des selbstverwalteten und selbstgebildeten “Kollektivs 22″ startet pünktlich. Jede*r Autor*in liest ihren/seinen eigenen Text, jedoch passen alle Texte sehr gut zusammen und wirken wie ein großes, ganzes und verwobenes Textmanuskript:
- Die in Vorarlberg lebende Autorin Ruth Mairvongrasspeinten liest als erste aus ihrem Text: “Wenn Poesie Verbrechen gegen die Menschlichkeit ungeschehen machen könnte.” Dieses unglaubliche Gedankenexperiment lässt Ruth in unseren Köpfen entstehen. Und Anspielungen auf Paul Celans „schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts“ fehlen natürlich auch nicht.
- Die Regensburgerin Claudia Woitsch lässt mit ihrer starken lyrischen Stimme den Erzähler Momo eine Tortur durchleben. Mit poetischer, einfühlsamer Sprache rückt sie ganz nahe an die unendliche Kohlenabbaugruben-Schwelle von Lützerath „Lützi“ und an unsere Klimakrise heran.
- Die Steirerin Karin Halak erdachte sich eine sympathische menschliche Erzählerin und lässt sie in der Musikschulszene sinnieren und nachdenken. Was man mitnehmen sollte: Sowieso mehr „crescendo“ im Leben zulassen!
- Die junge Leonie Groihofer, die als Abfallmanagerin arbeitet, gibt ihren Text “Mutterschrauben” zum Besten und entführt uns mit starker, mitreißender Erzähler*innenstimme in einen Generationenkonflikt. “Nein”, will man der Erzählerin zurufen, “du bist kein Schaf!”
- Hubertus September nimmt uns mit in eine Stadt. Trotz seines Namens friert es uns nicht, im Gegenteil. Sein kritischer Text, gemischt mit Reimen und rhetorischen Fragen, macht betroffen, weckt aber auch auf und ruft zur aktiven Gegensteuerung auf.
- Nicole – Nici – Linsbichler, die nicht nur mit ihren grafischen Fähigkeiten für den wunderschönen Flyer der Abschlusslesung verantwortlich ist, hat einen ganz dichten, poetischen, Fragen aufwerfenden Text geschrieben und lässt ganz andere Töne anklingen, als man vermuten könnte.
- Sarah Kollnig lässt einen Stein ins Wasser fallen und Kreise ziehen. Außerdem nimmt sie uns in ihr Lebens-Labyrinth mit, das eigentlich ein Irrgarten ist, der vor Dieben geschützt werden muss.
- Nicole Teubenbacher schreibt über Frida und die Kiesel. “Rinnt über jede Erhebung. Kein Hindernis. Rufen schließlich: geh aus dem Weg!”
- Filmemacherin Susanne – Su – Hahnl begleitet uns zu ihren ganz persönlichen Schätzen, zu ihren Finderlingen. Und Sus Erzählerin lässt uns an ihre Türe klopfen. Oder doch lieber an die Sicherheitstüre des Nachbarn?
- Die aus dem Norden stammende Norma Sars nimmt uns dahin mit “wo Träume Urlaub werden.” Ihre Beobachtungen sind humorvoll, abstrakt und kommen uns ab und zu spanisch vor – deshalb sind wir auch an einer Plaza. Aber die richtigen Fragen werden gestellt: “Haben Stadttauben Rechte?” Ich denke: „Ja“!
Zehn einzigartige, besondere und talentierte Textmacher*innen haben sich dank des BÖS-Lehrgangs gefunden und wir sind gespannt, was die Zukunft noch bringen wird für diese Autor*innen.
Abschließend muss der ausgezeichnete Literaturdialog/Simultantext noch erwähnt werden, den das Kollektiv 22 mit überschneidenden und stark wirkenden Gesprächsfetzen und Bewegungen zum Leben erweckt hatte.
Der Applaus für das Kollektiv 22 war tosend und brausend!
Video der Veranstaltung auf YouTube
Fotos: Erika Kronabitter
Video: Peter Bosch