Literatur wird nicht alleine geschrieben
Ein Interview mit Hermann Niklas
Der letzte Literatursalon im BÖS-Atelier steht vor der Türe, und er beschließt den Reigen der vielen Jubiläumsveranstaltungen zu 20 Jahre BÖS. Einer der Autor:innen an diesem Abend ist Hermann Niklas, mit dem wir im Vorfeld gesprochen haben.
BÖS: Wie sieht die Brücke aus, mit der Du Dein Dasein zwischen Schriftsteller:innentum und politischer Bildung verbindest?
Hermann Niklas: Ich glaube, dass alle Schriftsteller:innen politische Bildner:innen sind, ganz egal, ob es ihnen bewusst ist oder nicht. Schreiben an sich ist ein politischer Akt. Wir übersetzen unsere persönliche Weltwahrnehmung in Sprache und stellen sie dem Publikum, der Gesellschaft als ästhetische-künstlerische Diskussionsgrundlage oder ‑vorlage zur Verfügung.
Das bedeutet für mich auch, dass diese Literatur, für den Fall, dass sie ernst gemeint ist und hinter die Welt blicken will und sich die Literaturarbeitenden selbst nicht schonen dabei, also dort hingehen, wo es tatsächlich weh tut, oder wie Cormac McCarthy einmal meinte, „handelt Literatur nicht vom Tod, ist es nicht Literatur“ – dass diese Literatur also nicht alleine geschrieben wird. Sie ist ein fluides, manchmal räudiges, dann wieder aalglattes Ding, das man nie ganz zu fassen kriegt und auch nicht zu fassen kriegen soll. Ein untrügerisches Zeichen für Literatur ist der Moment des Erstaunens, im Schreiben dorthin gekommen zu sein, wo man gar nicht hinwollte. Es gibt keine Schablonen.
Aber da sind wir schon sehr beim Zugang zu Literatur.
Zur konkreten Arbeit als Politischer Bildner beim Verein Sapere Aude: Wir arbeiten dort mit sehr diversen Zielgruppen, von Volksschule über Arbeitsmarktintegrationsprojekten, Mittelschulen, Gymnasien, Organisationen für Menschen mit Behinderung und für Menschen mit Fluchthintergrund bis hin zu Justizanstalten: Bis jetzt hatte jede Teilnehmerin ähnlich reagiert, wenn ich eine Politische Bildungsmethode mit den Worten einleitete: „Ich erzähle euch jetzt eine Geschichte“, der Blick wurde anders, die Haltung wurde verändert, eine andere Position wurde eingenommen, jede Person bereitet sich darauf vor, eine Geschichte hören zu werden. Und das meine ich auch mit fluid: Wenn ich eine Geschichte erzähle, entstehen Bilder in meinem Kopf und während die Teilnehmerinnen, die Geschichte hören, die ich erzähle, entstehen ganz andere Bilder in deren Köpfen, wir hören alle dieselben Worte (mich eingeschlossen), und schreiben aber ganz andere Geschichten.
Mit Kunst und künstlerischen Methoden in der Politischen Bildung (und in meinem Fall sind das meistens schreibpädagogische Methoden) passiert eine gewisse Durchlässigkeit, es macht es einfacher, andere Perspektiven einzunehmen, sich auszuprobieren, seine Identität zu hinterfragen, ohne Angst haben zu müssen (und zurzeit gibt es ja jede Menge Angst). Ideal also um Prozesse über sich und die Welt anzustoßen.
BÖS: Welchen Zugang hast Du zu Literatur?
Hermann Niklas: Es ist ein Nachdenken über die Welt mit mir mitten drin. Es muss ein Ich in allem drinstecken, das ich schreibe, dass es Literatur werden kann. Die unsichtbare emotionale Basis jeden Textes, den ich schreibe.
Wir erzählen Geschichten. Egal ob als Theaterstücke, Prosatexte oder Gedichte. Weil Geschichten etwas können, was andere schriftliche Darstellungsformen nicht vermögen: Sie stellen Möglichkeiten zur Verfügung, die im Lesen und Hören real werden. Ein Unvermögen dabei ist, und deshalb ist der Roman an sich eine Lüge (die ich liebe), dass alles, was wir erzählen, nur Fragment sein kann. Jede Geschichte beginnt noch viel früher und niemand kann erahnen, wann eine Geschichte wirklich zu ihrem Ende gelangt. Wir jonglieren bloß mit Fragmenten. Genauso, wie wir uns ja selbst nur in Fragmenten kennenlernen können.
BÖS: Erzähle uns ein bisschen mehr über die Texte, die Du beim Literatursalon vortragen wirst.
Hermann Niklas: Ich werde aus zwei Projekten lesen: zunächst das zyklische Gedicht Die Position der Vögel am Ende der Flut. Ein Text, der nach dem Besuch einer Ausstellung im Kunst Haus Wien entstanden ist. Die Bilder zum Thema Sintflut tauchen in diesen Texten auf wie Ertrinkende. Es ist Teil der Krisengedichte, einem unveröffentlichten Manuskript, das sich gerade auf Verlagssuche begibt.
Die anderen Texte sind ganz frisch und entstanden in Ghana, Westafrika. Dort begleitete ich eine Gruppe junger Erwachsener, die für einen Monat in diese Kultur eintauchten, die Sprache Dagbani ausprobierten, kulturelle Codes hinterfragten, über politisches System, Religionen und Familienstrukturen lernten, bei Gastfamilien wohnten und zahlreiche entwicklungspolitische Projekte kennen lernten. Das alles taucht nun auch in meinem Text auf, es wird ein Langgedicht mit dem Titel Dagbon.
Ich war dort im Juli, alles gepflanzt, alle warten auf den Regen. Und obwohl Regenzeit, regnete es nicht.
In einem Text heißt es: „Die Weigerung des Regens und seine Vergesslichkeit zu sterben.“ In der Signalnachricht eines Bauern von letzter Woche: „It rained so heavily today.“
Es gibt also Hoffnung, für die Landwirtschaft in Nordghana und auch für die Literatur.
Der Literatur-Salon im BÖS-Atelier findet am 12. Oktober 2024 ab 19 Uhr statt. Neben Hermann Niklas lesen Christa Nebenführ und Irene Wondratsch.