SCHUL BANK DRÜCKEN – Symposium über Schreibschulen mit Kurzvorträgen & Podiumsdiskussion
Ein Rückblick von Britta Mühlbauer
Am 16. Jänner 2020 veranstaltete das Literaturhaus Wien in Zusammenarbeit mit der GAV und der Zeitschrift perspektive das Symposium SCHUL BANK DRÜCKEN. Es ging um die Frage, inwieweit „Schreibschulen“ den Literaturmarkt und den Literaturbetrieb und damit die Lebens- und Arbeitsbedingungen von AutorInnen verändern.
Schreibschulen pro und contra
In seinem Eingangsstatement fasste Moderator Stefan Schmitzer, der auch für das Programm des Symposiums verantwortlich zeichnet, zusammen, dass Schreibschulen vorgeworfen wird, sie würden die Entstehung von Texten fördern, die sich nicht auf die Welt beziehen, sondern reine „Nabelschau“ sind. Weiters, dass Schreibschulen nicht nur mit verantwortlich dafür seien, dass es mehr Schreibende gibt, sondern dass nun auch zwischen AutorInnen mit und ohne akademische Weihen unterschieden werde. Literaturmarkt und Literaturbetrieb könnten dadurch größeren Druck auf AutorInnen ausüben, sich anzupassen. Andererseits, so Schmitzer, seien Schreibschulen jene Orte, an denen die Mechanismen des Marktes und des Literaturbetriebs diskutiert und hinterfragt würden.
(Die Frage ob Schreiben lehr- und lernbar ist, die bei einem vergleichbaren Symposium vor zehn Jahren diskutiert wurde, stand nicht zur Debatte. Sie scheint endgültig mit Ja beantwortet.)
Die Institutionen
Martin Ohrt erzählte von seiner Studienzeit am Institut Johannes R. Becher (Vorgänger des Deutschen Literaturinstituts Leipzig) und stellte die Jugend-Literatur-Werkstatt Graz vor, wo Kinder, Jugendliche und junge Erwachsenen in ihrem Schreiben gefördert werden. Er konstatierte, dass das veränderte Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen sich auf deren Leseverhalten und Literaturgeschmack auswirke.
Fritz Ostermayer, künstlerischer Leiter der schule für dichtung, verlas die lange Liste ehemaliger und aktueller Vortragender und das Konzept von Christian Ide Hintze. Darin steht unter anderem, dass ausschließlich DichterInnen als „primär Wissende“ befähigt seien, Schreiben zu unterrichten. Der Akt des Lehrens sei ein Kunstakt, der Unterricht Erfahrungsaustausch, Pädagogik überflüssig.
Petra Ganglbauer erläuterte die Grundsätze des Berufsverbandes Österreichischer SchreibpädagogInnen (BÖS): Mut zum Originellen und zum Experiment, spielerische Herangehensweise an das Schreiben, transmediale, interdisziplinäre und partizipatorische Arbeit.
Sie unterstrich, dass die Zweigleisigkeit des BÖS-Angebots einzigartig ist: Es bietet AutorInnenausbildung und pädagogische Ausbildung in einem. Die AbsolventInnen können in unterschiedlichen Institutionen als MultiplikatorInnen für die Vermittlung von Literatur wirken.
Karin Fleischanderl von der Leondinger Akademie für Literatur las das Vorwort des von ihr und Gustav Ernst verfassten Schreibratgebers „Romane schreiben“ vor. Es stellt den Handwerksaspekt des Schreibens in den Vordergrund, ohne die Absicht Bestseller am Reißbrett zu erzeugen.
Ferdinand Schmatz, Vorstand des Instituts für Sprachkunst an der Angewandten, berichtete über das Aufnahmeverfahren und legte Wert auf die Feststellung, dass im Unterschied zu Leipzig und Hildesheim in Wien nicht das „gekonnte“ Erzählen Ausbildungsziel, sondern Vielstimmigkeit erwünscht sei, und die Zusammenarbeit mit anderen Kunstgattungen (Multimedia, Video, Fotorafie, Comic) sich durch die Angliederung an die Angewandte geradezu aufdränge. Obwohl Schmatz die Akademisierung des Schreibens skeptisch sieht, betrachtet er sie andererseits als Chance, der Literatur in der Gesellschaft einen höheren Stellenwert, vergleichbar mit jenem der Naturwissenschaften, einzuräumen.
Die Selbständigen
Markus Köhle, Autor, selbständiger Anbieter von Workshops zu Slampoetry, dekonstruierte mit virtuos-unterhaltsamer Sprachartistik das Selbstverständnis von Schreibschulen und deren AbsolventInnen. Er schätzt die Zwanglosigkeit und den kreativen Freiraum, die Einzelworkshops den TeilnehmerInnen bieten. Außerdem stellte er fest, dass LiteraturveranstalterInnen bei der Vermittlung von Literatur zunehmend auf Performance, vergleichbar den Poetry-Slams, setzen.
Ralf Korte von der Zeitschrift perspektive, erklärte in seinem Vortrag, einem Konglomerat aus Fremdwörtern, Wortneuschöpfungen und hohem Pathos, dass er Schreibschulen für selbstreferenziell und das Dichten für überflüssig halte.
In dem Langgedicht der Autorin Caca Savic ging es um Autorinnenleben und ‑arbeit und den Literaturbetrieb. Genaueres konnten auch Lyrik-Erfahrene nach einmaligem Hören nicht verstehen.
Die Dadasophin Sylvia Egger hatte für ihren Vortrag Zitate von AbsolventInnen der Literaturinstitute Leipzig und Hildesheim montiert. Die beiden Institutionen kamen dabei nicht gut weg: sie seien elitär, autoritär, forderten ein hohes Arbeitspensum abseits von der Arbeit am eigenen Text, kurz: sie begingen „Mord am Schreiben“.
Der Konsens
Einig waren sich (fast) alle ReferentInnen, dass Schreibschulen geschützte Räume sind, wo sich das eigene Schreiben unabhängig vom Markt entwickeln kann und Platz für Widerständigkeit bleibt. Auch dass Lesen und Schreiben zusammen gehört, blieb unwidersprochen. Die Ansprüche von Literaturmarkt und Literaturbetrieb wurden als Gefahr für künstlerische Eigenständigkeit und Originalität betrachtet.
Der Kanon
In der von Stefan Schmitzer geleiteten Podiumsdiskussion, an der auch die Autorin und perspektive-Herausgeberin Silvia Stecher teilnahm, ging es zunächst um das Thema Kanon. Der – nicht näher definierte – „klassische“ Kanon, so die Diskutierenden, werde in Schulen nicht mehr gelehrt, es könne beglückend sein, ihn jungen AutorInnen zu vermitteln, er schließe jedoch viele zeitgenössische AutorInnen aus. Welcher Kanon für die vertretenen Schreibschulen relevant ist, wurde nicht explizit geklärt. Es war viel die Rede von Lyrik, Avantgarde, Experiment und Textformen, die die Schriftlichkeit überschreiten und nicht zwischen zwei Buchdeckel passen.
Der Markt
Zum Reizthema Literaturmarkt merkten die Diskutierenden an, dass es an Schreibschulen zwar marktvorbereitende Veranstaltungen gebe, dass es jedoch den einzelnen Autorinnen und Autoren überlassen bleibe, wie weit sie sich auf die Anforderungen des Marktes einlassen.
In einem Zwischenruf aus dem Publikum wies Gustav Ernst auf den Zwiespalt hin, in dem künstlerische Produktion immer steht: Einerseits wollen AutorInnen das eigene Produkt schützen, andererseits brauchen sie den Markt, um ihre Texte an Frau und Mann zu bringen. Der Markt allerdings stelle seine eigenen kapitalistischen Ansprüche und strebe danach Literatur vermarktungstauglich zu konfektionieren.
Da Experiment, Lyrik, nicht schriftliche Literaturformen vom Literaturmarkt nicht gefördert werden, so die Diskutierenden, brauche es eine Independent-Szene mit Zeitschriften, Kleinverlagen, Veranstaltern, die es sowohl in Österreich als auch in Deutschland gebe. Markus Köhle regte an, den literarischen Hausbesuch, ähnlich dem obligatorischen jährlichen Besuch des Rauchfangkehrers einzuführen.
Schulterschluss?
Abschließend bemühte sich der Moderator, die Diskutierenden auf einen Minimalkonsens einzuschwören: Was müssen AutorInnen und Schreibschulen tun, um sich gegen die Dominanz des Literaturmarktes zu behaupten? Das Ergebnis: Man müsse erreichen, dass bei Wettbewerben nicht nur gedruckte Texte zugelassen werden. Man müsse weiter arbeiten und dagegen halten. Man solle darauf hinarbeiten, dass Literatur in der Öffentlichkeit so prominent wahrgenommen werde wie Naturwissenschaft.
Man hätte der Veranstaltung ein zahlreicheres Publikum gewünscht.
Die Vorträge aller ReferentInnen werden in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift perspektive erscheinen: https://www.perspektive.at/
Britta Mühlbauer, Jänner 2020
Für die Blog-Beiträge sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Fotos: Peter Bosch und Barbara Rieger