Spannung entsteht aus Ungewissheit
Ein Interview mit Christa Nebenführ
Die Ausweglosigkeit zwischenmenschlicher Beziehungskonstellationen findet Christa Nebenführ spannend. Dazu braucht es eine Dramaturgie der Gegensätze, erzählt sie im Interview.
BÖS: Wie hoch ist deine Spannung vor Schreibworkshops?
Christa Nebenführ: Beim ersten Termin mit meiner allerersten Schreibgruppe im Jahr 2003 hab’ ich peinlicherweise einen weißen Spritzer mit in den Unterrichtsraum genommen, weil ich so nervös war. Nach 17 Jahren Erfahrung ist es der reine Eustress. Das heißt, ich freue mich, eine Gruppe mit etwas bewirten zu dürfen, das erfahrungsgemäß mundet.
BÖS: Was braucht es auf alle Fälle, um in einer Erzählsituation Spannung zu erzeugen?
Christa Nebenführ: Spannung entsteht aus Ungewissheit. Werde ich die Prüfung schaffen? Was wird das Christkind bringen? Wird er/sie wirklich auf mich schießen? Um diese Spannung aber zu transportieren, braucht es meines Erachtens vor allem eine Dramaturgie der Gegensätze. Welche Szene male ich bis auf das kleinste Detail – wie beispielsweise die Fliege an der Fensterscheibe – aus? Welche skizziere ich in wenigen Sätzen? Was lasse ich aus? Nicht weil es unwichtig wäre, sondern vielleicht, weil es so groß ist, dass es nicht adäquat zu beschreiben ist, sondern sich aus den Szenen, die drumherum gruppiert wurden, im Kopf des/der Lesenden selbst erschaffen muss.
BÖS: Was findest du persönlich spannend?
Christa Nebenführ: Das ist eine sehr intime Frage. Ich würde sagen, mein ganz persönliches Leben und Lieben, von dem ich stets das Gefühl habe, es stünde kurz vor dem Scheitern. Die Erleichterung, dass es doch immer weiter geht, währt nur kurz, denn irgendwann wird es vorbei sein. Literarisch interessieren mich konventionelle Pageturner kaum oder selten. Natürlich habe ich Karl May verschlungen und die „Heldenreise“ von Joseph Campbell gelesen, aber sowohl das formale, als auch das ästhetische Interesse wandelt sich im Lauf eines Lebens – vermutlich sogar mehrmals. Das letzte Buch, das ich definitiv nicht aus der Hand legen konnte war „Der Stiefsohn“ von Jurij Hudolin mit dem Untertitel „Das Leben auf des Teufels Land 1987–1990“ (Septime Verlag 2019). Ein Roman, der eines meiner zentralsten Lebensthemen berührt. Ich wurde aus meinem Vater niemals klug, aber ich bin ihm bis zu seinem letzten Atemzug nicht entkommen. Ich würde sagen, persönlich interessieren mich Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays usw., die sich mit der Ausweglosigkeit bestimmter Beziehungskonstellationen befassen. WIE dies aber geschieht, ist der künstlerische Aspekt – siehe oben.
Christa Nebenführ, Oktober 2020
Christa Nebenführ leitet den Workshop „Spannungsaufbau“ am 17./18. Oktober 2020.