Würze statt Pfeffer

Ein Inter­view mit Cornelia Stahl

Was gehört alles dazu um eine gute Rezen­sion zu schreiben? Cornelia Stahl verrät uns die Zutaten und macht Appetit aufs Lesen und Schreiben zugleich.

 

BÖS: Warum sind Rezen­sionen wichtig?

Cornelia Stahl: Aus der Fülle der jähr­li­chen Neuerschei­nungen auszu­wählen und besten­falls die rich­tige Entschei­dung zu treffen, über­for­dert selbst Vielleser*innen. 
Es mag Vorlieben für Verlage und Autor*innen geben, jedoch gelingt es selbst kennt­nis­rei­chen und versierten Lesenden nicht, ständig am
Ball zu bleiben, es sei denn, Mann/Frau arbeitet im Buch­handel.
Wer sich jedoch täglich um seinen Brotjob* kümmern und diesen am Laufen halten muss, verliert schnell den Anschluss, was die Lite­ratur und den Lite­ra­tur­be­trieb betrifft. Er/Sie sieht sich gezwungen, dem Urteil des Fachmanns/der Fach­frau, den Redakteur*innen im Feuil­leton, der Kultur­bei­lage der jewei­ligen Zeitung zu vertrauen, wenn es um Auswahl und zeit­nahe Bespre­chungen wich­tiger lite­ra­ri­scher Neuerschei­nungen (mitunter Spit­zen­titel) geht.
Die bloße Bespre­chung an sich wäre zu mager. Ange­rei­chert werden muss sie mit ein wenig Würze: heißt Rück­griff auf Lite­ra­tur­ge­schichte, Vergleich mit Zeitgenoss*innen und Bezug­nahme auf frühere Werke des Autors/der Autorin. Ort/Verortung? Wie/Wo kann das lite­ra­ri­sche Werk im aktu­ellen Zeit­ge­schehen verortet werden? Welche Themen werden im Buch verar­beitet? Zum Beispiel: Liebe, Narzissmus, Armut, Arbeits­lo­sig­keit, Utopie/Dystopie, Pandemie? Wie liest sich der sprach­liche Duktus? Welche Figuren stehen im Fokus? Ermög­li­chen sie Iden­ti­fi­ka­tion? Exis­tiert eine Kohä­renz zwischen Inhalt und Form? Welchen Eindruck hat der Text hinterlassen?

*Iuditha Balint (u.a.): Brot­jobs &Literatur. Verbre­cher­verlag, 2021.

BÖS: Wie verhin­dert man, dass sie den Leser/die Leserin bevormunden?

Cornelia Stahl: Lesende sind Bele­sene, von Natur aus neugierig und wach, sie finden anhand weniger Stichwörter/Schlagwörter heraus, ob das soeben bespro­chene Buch ihren Inter­essen entspricht, oder ob das Gegen­teil der Fall ist. Lese­emp­feh­lungen, für welche Ziel­gruppe dieses Werk geeignet ist, kann man in einer Rezen­sion ausspre­chen.
Die Vorlieben oder Abnei­gungen des Lesenden/der Leserin können wir jedoch selten beein­flussen. Da kann ein Best­seller im Ranking wieder­holt auf die obere Stufe gehoben werden – lite­ra­tur­wis­sen­schaft­lich argu­men­tiert und gerecht­fer­tigt mit einem ausge­klü­geltem Sprach­duktus. Was aber an Asso­zia­tionen beim Lesenden/der Leserin bei der Lektüre entsteht, kann ein Journalist/eine Jour­na­listin nicht beeinflussen.

BÖS: Was ist das wich­tigste beim Schreiben von Rezensionen?

Cornelia Stahl: Die Objek­ti­vität wahren bei der Beur­tei­lung des Buches, eine Einord­nung und Rele­vanz für die Gegen­wart.
Das Beson­dere der Lektüre heraus­stellen, die persön­li­chen Bezug­nahme darlegen (optional) und Kritik­punkte mit Text­bei­spielen belegen.
Mit Pfeffer, sprich Kritik, sollte man möglichst sparsam umgehen. Die mit Wort­va­ria­tionen, Witz und Lakonie ange­rei­cherte Bespre­chung kann heikle Text­pas­sagen anführen, sollte jedoch um Objek­ti­vität bemüht sein. Ein Verriss zieht schließ­lich weitere Risse nach sich und erlaubt Rück­schlüsse auf den Verfasser/die Verfas­serin der Rezen­sion.
Wir leben in Reso­nanz zur (Um)Welt. Eine Rezen­sion darf besten­falls neugierig machen auf diese Welt, auf die Lektüre. Neugier wecken auf die bespro­chene Neuerschei­nung. Das könnte ein Ziel sein beim Verfassen von Rezen­sionen. 
Wer Appetit bekommen hat, kann vorab auf den Seiten von www.literaturkritik.de ein wenig schmökern.

 

Cornelia Stahl leitet den Schreib­work­shop „Rezen­sionen schreiben“ am 16. Jänner 2022. Kurz­ent­schlos­sene können sich noch anmelden unter office@boesmail.at

 

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