Zukunfts­vi­sionen und Gegenwartsbezüge

Ein Text von Nicole Linsbichler

Refle­xion über Chancen und Grenzen rezenter Schreib­päda­gogik, Ausblicke und Perspektiven

Es ist sagen­haft, dass zwei Jahre vorbei­ge­zogen sind und ich nun am Ende der Ausbil­dung zur Schreib­päd­agogin stehe. Was bedeutet das für mich und meine eigene Zukunft? Wie verstehe ich Schreib­päda­gogik nach dieser inten­siven Zeit denn über­haupt? Welche Art von Schreib­päd­agogin möchte und kann ich sein? Ist es mir möglich, meinen eigenen Ansprü­chen an diese Tätig­keit gerecht zu werden? Ich habe noch keine Ahnung.

Nach Abschluss erhalte ich ein Zerti­fikat, das in der Gesamt­ge­sell­schaft vermut­lich eher Frage­zei­chen als Begeis­te­rung aufwirft. Nur die Nische versteht, was gemeint ist. Leider. Denn das Schreiben ist die uner­schöpf­liche Methode, das Selbst in den Lauf der Dinge einzu­glie­dern; sich zu orien­tieren. Das Schreiben ist eine Ressource für alle! Für Schriftsteller:innen und Legastheniker:innen. Für Journalist:innen und Halina, eine obdach­lose Frau, die abends ihre Gebete nieder­schreibt. Schreiben ist gewaltig – ohne dabei Gewalt anzu­wenden (dennoch kann das Erschrie­bene schmerz­haft sein).

Das höchste Ziel der Schreib­päda­gogik muss in meinen Augen sein, diese Kraft in die Welt zu tragen, sie zu multi­pli­zieren – unab­hängig von Sprache, Zuge­hö­rig­keit, Staats­bür­ger­schaft oder ähnli­ches. Das Schreiben kann Brücken schlagen, kann Verbin­dungen herstellen, kann Verstehen ermög­li­chen – solange alle an einem Tisch den krea­tiven Akt schätzen und für sich nutzen möchten. Schreib­päda­gogik hat daher in meinen Augen vom Schreiben an sich; vom Prozess­haften; vom Unfer­tigen; vom Rohen zu handeln und steht damit im großen Gegen­satz zum Zeit­geist. Dessen muss ich mir als Schreib­päd­agogin bewusst sein. Diesen Para­dig­men­wechsel von der Leis­tung und der Effi­zienz hin zur Freude am Kreieren gilt es meiner Meinung nach als Schreib­päd­agogin laut in die Welt hinauszuschreien.

Wir Menschen brau­chen so bald als möglich einen Wandel im Denken. Die Werte, die der Schreib­päda­gogik (so wie ich sie kennen­ge­lernt habe) inhä­rent sind, sind zukunfts­wei­send für jegliche Art des Zusam­men­le­bens, für die Bildung der Folge­ge­nera­tion, für ein fried­volles Mitein­ander. Wert­schät­zung und ein offenes Ohr sind die Super­kraft, die die von mir fest­ge­schrie­benen Utopien zur Realität machen könnten. Dennoch muss ich realis­tisch bleiben. Nur weil ich bald ein Zerti­fikat für Schreib­päda­gogik einsacke, bedeutet das nicht, dass ich verstanden habe, wie ich Jahr­tau­sende an konflikt­über­säter Mensch­heits­ge­schichte wieder gera­de­biegen könnte. Diese Tatsache ernüch­tert mich. Welche reali­täts­nahen Erkennt­nisse ziehe ich noch aus den vergan­genen zwei Jahren?

Für mich ist Schreib­päda­gogik ein Wech­sel­spiel zwischen Indi­vi­dua­lität und Kollek­ti­vität. Gelin­gende Schreib­päda­gogik gedeiht in der Balance zwischen dem Allein­sein und dem Teilen. Krea­ti­vität ist der Hebel, der alles in Bewe­gung setzt. Der Austausch hält den Motor am Laufen. Eine höchst tech­ni­sche Ausfor­mu­lie­rung, pardon… Aus huma­nis­ti­scher Perspek­tive braucht gelin­gende Schreib­päda­gogik Bezie­hungs­ar­beit, Behut­sam­keit und Grup­pen­ko­or­di­nie­rung. Als Schreib­päd­agogin stelle ich meine breit ausge­streckten Arme zur Verfü­gung, um in der Umar­mung einer Gruppe Neues sprießen zu lassen. Dieses Gefühl, das ich beim Leiten einer Schreib­gruppe bisher gehabt habe, gleicht einem Rausch, einem Tunnel­blick. Ich bin völlig auf das zu Gebä­rende fokus­siert und vergesse dabei niemals, was sich im Unter­grund noch verbergen könnte.

Was die Zukunft der Schreib­päda­gogik anbe­langt wäre es ange­bracht, das Fach weiter zu insti­tu­tio­na­li­sieren. Das neue Curri­culum ist vermut­lich ein Schritt in die rich­tige Rich­tung. Die Schreib­päda­gogik birgt enormes pädago­gi­sches Poten­tial und ich wünsche mir eine höhere gesell­schaft­liche Aner­ken­nung für unseren Zugang zu Bildung. Ich bin der Meinung, dass die schreib­päd­ago­gi­sche Wissens­ver­mitt­lung eine große Chance für eine gelin­gende Gesell­schaft ist. Als Schreib­päd­agogin ist es meine Verant­wor­tung, dieses Wissen keines­falls nur einer Nische zugäng­lich zu machen. Nun bin ich wohl an dem Punkt, von dem aus ich in meine schreib­päd­ago­gi­sche Zukunft blicke, gelandet. Sie zeichnet sich in schwa­chen Konturen gegen blasses Grau.

 Außerdem wünsche ich mir – in Anbe­tracht dessen, dass es in meinem Verständnis von Schreib­päda­gogik um das Schreiben und nicht zwangs­weise um das Geschrie­bene geht – eine Förde­rung oder Wert­schät­zung von Mehr­spra­chig­keit. Unter­schied­liche Spra­chen bieten unter­schied­liche Zugänge zur Realität. Die Beson­der­heiten einer Fremd­sprache können auch in ihrem Klang in Erschei­nung treten. Nicht immer muss das Gegen­über den Sinn­ge­halt greifen können. Das Poten­tial der Mehr­spra­chig­keit hat meiner Meinung nach nicht genug Raum in der Ausbil­dung einge­nommen. So gerne hätte ich Fremd­spra­chen gelesen und gehört, um die Viel­falt unserer Welt näher kennenzulernen.

 

Dieser Text ist anläss­lich der grup­pen­dy­na­mi­schen Abschluss­ar­beit für den Lehr­gang „Schreib­päda­gogik“ entstanden.