Diagnose: a signi­fi­ca­tione objec­tiatis syndrom (lat.)

Ein Text von Andrea Penkhues

Ein Junge sah einen Ball. Er wollte darüber spre­chen. Was das ist. Was damit zu tun sei. Der Junge hatte den Wunsch seinen Eltern zu sagen wie er den Ball findet, denn er war faszi­niert davon. Begeis­tert blickte er darauf.
Er wandte sich zu seinen Eltern und sprach das Wort nach. „Ball.“
Das Wort Ball.
Die Eltern freuten sich. „Ja das ist ein Ball.“
Erwar­tungs­voll blickte der Junge seine Eltern an.
Seine Mutter. Seinen Vater.
Er hatte den Mund offen. So als würde er den Moment herbei sehnen das Wort Ball weiter kommen­tieren zu können.
Seine Eltern wieder­holten das Wort.
„Ball.“ Sie sagten: „Schön das ist richtig, ja das ist ein Ball. Gut gemacht.“ Nur das.
Mehr sagten sie nicht.
Der Junge bewegte seine Lippen und heraus kam nur wieder das Wort Ball.
„Ball. Ja genau“, sagten die Eltern. „Wir bestä­tigen, dies ist ein Ball.“
„Ball“, sagte der Junge mit quen­gelndem Unterton und die Eltern sahen sich ratlos an. Und zu dem hervor gesto­ßenen „Ball“ gesellte sich ein leichtes Schluchzen. Seine Finger die auf den Ball zeigten, fingen an zu zittern, und er zuckte bald schon und wand sich. „Ball. Ball. Ball.“
Bis die Tränen flossen, so unzu­frieden war er.
Die Eltern waren erschro­cken. Was wollte ihr Junge ihnen mitteilen? Drei Tage und zwei Nächte wurde das Wort „Ball“ gestot­tert und geschluchzt und die Familie stürzte in tiefes Unglück.

Die Eltern, die ihren Jungen sehr liebten machten sich verzwei­felt zu einer Ärztin auf.
Sie sollte helfen. Sie musste helfen. Sie war ihre letzte Hoff­nung.
Nachdem die Ärztin die Familie gesehen und den Jungen gehört hatte, schnaufte sie unge­duldig und stellte der Familie ein Rezept aus.
Erschöpft machten sich die drei zur Apotheke auf und lösten an der Theke ohne zusätz­liche Gebühr ein Koffer­wort ein.
Alle drei waren etwas ruhiger geworden. Sie betrach­teten scheu und verwun­dert dieses Koffer­wort, wie es auf der Rück­bank im Auto lag.
Zu Hause ange­kommen griff die Mutter das Koffer­wort am Henkel, packte es auf den Tisch und löste die Schnallen und alle drei wichen zurück. Erschro­cken waren sie, suchten Abstand und starrten fassungslos.
Hervor gesprungen waren hunderte von Bällen. Bälle, die hüpften, durch die Luft flogen und die noch mehr hüpften, hart und etwas weicher waren, bunt oder schwarz­weiß umher hüpften, oder klein oder groß über den Boden rollten, die schwer waren wie ein Klotz oder elas­tisch wie ein Frosch.
Der Junge jauchzte, lief in die Bälle hinein, ließ hüpfen, warf, ließ Bälle rollen und schoss an die Wand, rollte und tollte mit den Bällen und die Eltern sahen, wie glück­lich der Junge war. Glück­lich waren die Eltern nun auch.
Der Junge hielt einen Ball und dankte befrie­digt dem Koffer­wort, da er nun wusste: „DAS ist also ein Ball.“

 

Dieser Text ist im Rahmen des Online-Work­shops „schau­er­lich & fantas­tisch“ mit Britta Mühl­bauer entstanden.