Gesam­melt 2

Texte von Gudrun Kapeller aus der Schreib­päda­gogik-Lehr­gangs­klasse 2020/2021

Damals und heute

Ein Altbau unter vielen in einer Groß­stadt. Noch nicht saniert. Einfach ein Altbau, wie man Altbauten kennt. Altbau im Außen, Altbau im Innen. Nur die Bewohner sind neu und sich fremd. Anony­mität steht auf den Schwarzen Bret­tern und Anschlags­ta­feln in den Eingangs­be­rei­chen, Türschilder ohne Namen, Top-Nummern als Versuch, den Daten­schutz zu wahren. Aber: Kleine Balkone als Fenster zum Draußen. Und sie steht auf ihrem. Es ist ihr Fenster zu einem kleinen biss­chen Welt.
Abends zieht es sie dorthin, ins Draußen. Links und rechts von ihr andere Welten und andere Leben. Der Neubau auf der einen Seite steht fast leer. Wenig Leben, aber das zumin­dest in einem gewissen Luxus. Luxus, den sie nie hatte und auch nie gebraucht hat. Alltag und Alltäg­li­ches. Mehr will sie nicht. Blumen. Sonne. Zuhause. Essen. Von allem gerade so viel, dass es noch tragbar und erträg­lich ist. Marga­riten statt Orchi­deen. Früh­ling statt Sommer. 40 Quadrat­meter statt 120. Kartof­feln statt Filet.
Wenn im Sommer die Tage länger werden, obwohl es schon Abend ist, fängt sie an zu beob­achten. Ein einfa­cher, beschei­dener Zeit­ver­treib, zu dem man niemanden braucht, außer sich selbst und davon hat sie genug. Sie beob­achtet, was hier geschieht und dort passiert. Sie mischt sich nicht ein. Sie bleibt still, aber nicht heim­lich. Einmi­schen wäre zu kompli­ziert, wo sie es doch einfach mag. Trotzdem: Manches hätte es früher so nicht gegeben. Aber weil es das jetzt gibt, erlaubt sie sich das kleine Stück Welt um sie herum.
Von dort hört sie Worte, die niemand hören möchte. Von da dringt Kind­heit an ihre Ohren. Sie ist sich in diesem Moment nicht sicher, was mehr schmerzt. Sie sieht der Sonne nach und sehnt sich nach etwas, von dem sie viel­leicht gar nicht weiß, dass sie es jemals vermisst hat. Sie hat ja alles. Eigent­lich.
Regen, denkt sie. Es sollte wieder einmal Regen geben. Luft waschen, Blumen gießen, Welt tränken. Wäre die Welt bunter, wenn der Regen den Schleier des Banalen verschwinden ließe? Der Staub bliebe trotzdem im Inneren. Das Innere kann man nicht säubern lassen, man muss es selbst putzen, wenn man es will.
Gedan­ken­wechsel in den Innenhof. Die Kinder spielen. Es sind immer die Kinder, die man sieht, nie die Mütter und schon gar nicht die Väter. Das hat sich nicht verän­dert. Sie kennt es selbst so. Die Mutter im Haus, der Vater außer Haus. Die Kinder draußen in die Welt gesetzt. Aber es werden weniger. Dafür werden sie lauter. Manchmal stört sie das, heute noch nicht.
Die Kinder spielen Fußball. Die meisten, nicht alle. Fußball als Zeit­ver­treib, der nie aus der Mode kommt. Sie hat nie Fußball gespielt. Das, was sie gespielt hat, kennt man heut­zu­tage nicht mehr. Das, womit sie gespielt hat, gibt es viel­leicht noch, aber haben will es niemand mehr. Technik domi­niert die Welt, wenn auch gerade nicht diesen einen Innenhof und das freut sie ein biss­chen, Sie lächelt. Eigent­lich viel zu selten.
Sie spürt den Abend, aber die Strick­jacke hält ihn noch fern.

Dieser Text ist im Rahmen der Aufga­ben­stel­lung zum Abschluss des Lehr­gangs „Schreib­päda­gogik“ entstanden.

 

Wohn­zimmer

Das Wohn­zimmer ist der größte Raum im Haus. Als würden die Zimmer immer kleiner werden, je weiter man im Haus nach hinten geht. Man kann durch die offenen Schie­be­türen durch Esszimmer und Küche im Kreis laufen und landet doch immer wieder im Wohnzimmer.

Mama disku­tiert mit Papa, wo das Bild hängen soll. Das neue Bild für das neue Wohn­zimmer. Es passt genauso wenig in den Raum wie die neue Couch. Die alte, abge­wetzte war gemüt­li­cher. Man musste auf nichts aufpassen, weil es eh schon egal war. Kaputter konnte nichts mehr werden. Jetzt dürfen wir die Gläser nur mehr auf Unter­setzer auf den Tisch stellen. Auf den neuen Tisch. Oder auf eine der Zeitungen.Eine vom Stapel der Vorwoche natür­lich. Nichts ist so geblieben, wie es war, außer der Kabel­kanal an der Decke, weil die Lampe einfach an den falschen Platz geplant worden war.

Die Fenster gehen zur Straße raus. Man sieht den kleinen Vorgarten, den viel zu nied­rigen Garten­zaun, die Straße, auf der eine Hand­voll Autos parkt und die Häuser der Nach­barn. Alle unge­fähr gleich alt. Wie deren Bewohner.

Er parkt das Cabrio gleich neben der Villa. Sie steht auf der großen Dach­ter­rasse und winkt ihm zu. Ihre Bewe­gungen wirken etwas steif, aber so ist das, wenn man so wie sie etwas unge­lenk ist. Mit dem haus­ei­genen Lift fährt sie ihm entgegen und will von ihm umarmt werden, doch seit einem Unfall und einer miss­lun­genen Opera­tion kann er seinen rechten Arm nicht mehr bewegen und sie stehen sich deshalb nur kurz gegen­über und schauen sich an, ohne mit Wimpern zu zucken. Ich kann mich nicht erin­nern, ob Barbie­puppen über­haupt Wimpern haben? Ich kann auch nicht mehr nach­schauen. 20 Euro für sie und ihn, die Villa samt Möbel, das Cabrio. Nur der Aufzug funk­tio­niert nicht mehr. Das Seil­chen ist irgend­wann gerissen und Papa kann leider Aufzug-Seil­chen genauso schlecht zusam­men­stü­ckeln wie Barbiepuppenarme.

Zwei Wände sind Außen­wände. Im Zimmer ist es deshalb immer ein biss­chen kalt. Es gibt keinen Kamin oder Schwe­den­ofen. Nur ein Ungetüm an Heiz­körper direkt unter dem Fenster, in dessen Rillen sich der Staub fängt.

Um 19:00 Uhr ist „Papa-Time“. Egal ist uns das nicht, aber wir nehmen es zur Kenntnis. Wir dürfen bleiben und zuhören – bloß nicht dazwi­schen­reden und nicht herum­wetzen. Die „Papa-Time“ dauert eine schwache Stunde, in der wir versu­chen zu verstehen, was die Menschen im Fern­seher Papa erzählen und in der wir uns fragen, warum das für ihn wichtig ist. Es ist doch egal, welche Bombe in Jugo­sla­wien einge­schlagen hat, welche Minder­heit in Amerika schi­ka­niert wird oder wie viele Nach­barn in Not sind. Aber wir reden nicht dazwi­schen, wir hören einfach zu. Wir wetzen auch nicht herum. Erst als die Wetter­wölk­chen auf der Öster­reich-Karte zu sehen sind, wissen wir, dass die „Papa-Time“ gleich vorüber ist. Und wie das Wetter in den nächsten Tagen wird.

Die Wände des Zimmers sind nicht weiß, eher beige.
Der Teppich am Boden ist nicht blau, eher grau.
Und das Holz der Möbel ist gar kein echtes Holz.

Dieser Text ist im Work­shop „Auto­bio­gra­phi­sches Schreiben“ von Erika Kronabitter entstanden.