Jesolo
Ein Text von Mathilde Wolkenstein-Rodenegg aus MOSAIK
Jesolo
Ich erinnere mich, dass gleich nach Schulende, nach der Zeugnisverteilung, zuhause die Koffer gepackt wurden.
Ich erinnere mich, dass es eine lange Autofahrt war in unserem alten Peugeot 404, doch dass es nicht allzu lange dauerte, bis die Berge verschwanden.
Ich erinnere mich, dass eine lange Allee mit Zypressen das Ziel unserer Fahrt verhieß.
Ich erinnere mich, dass unser Apartment jedes Jahr gleich aussah, auch wenn es nicht immer das gleiche Stockwerk war: Eingangsbereich, Küche, Bad und ein Wohnbereich mit einem Esstisch und angrenzendem Balkon mit Meerblick; dann im oberen Geschoß die beiden Schlafzimmer.
Ich erinnere mich, dass eine Kugel Eis 500 Lire kostete, was mir schrecklich viel vorkam.
Ich erinnere mich an die langen Einkaufsbummel abends, wo wir eine von abertausenden Familien waren, die von Abend zu Abend entweder gebräunter oder röter die Shoppingmeile entlangschlenderten.
Ich erinnere mich, dass für uns Kinder der Vergnügungspark das Highlight von manch einem Einkaufsbummel war.
Ich erinnere mich an die klebrige Zuckerwatte und die hohe Achterbahn, die einem beim Hinuntersausen die Mundwinkel bis zu den Ohren zog.
Ich erinnere mich an einen Stand mit Plastikschwänen, die es mit einer Angel zu fischen galt und man
dann – je nach Punkteanzahl – etwas gewinnen konnte.
Ich erinnere mich, wie eben bei so einem Stand mein Bruder einen Goldfisch gewann und wir ein Aquarium kaufen mussten, um ihn aus dem Plastiksackerl zu befreien, in dem er meinem Bruder überreicht wurde.
Ich erinnere mich an die „caccia della strega“ (zu Deutsch: Hexenjagd), eine Art Geisterbahn, die man jedoch zu Fuß in totaler Dunkelheit durchwanderte und dass meine Mutter bei einem dieser ratternden Fließbänder eine Sandale verlor, die wir alle dann kriechend suchen mussten.
Ich erinnere mich, dass es dort die beste Pizza gab: hauchdünn, saftig und mit richtigem Mozzarella.
Ich erinnere mich, dass ich am Strand immer lange suchen musste, um unseren Sonnenschirm zu finden, da die Reihen alle gleich aussahen.
Ich erinnere mich, dass ich in den letzten Jahren nicht mehr lange nach unserem Strandplatz suchen musste, da wir zu den „Privilegierten“ der ersten Reihe aufgestiegen waren.
Ich erinnere mich, dass man als gute Schwimmerin galt, wenn man es bis zu den letzten Bojen schaffte.
Ich erinnere mich, dass man jedoch lange ins Meer waten konnte, ohne wirklich schwimmen zu müssen.
Ich erinnere mich an das warme, salzige Meerwasser und an unsere Freude, wenn die Wellen einmal etwas höher waren und wir wetteten, wer ihnen standhielt.
Ich erinnere mich, dass dort der Mond viel grösser schien als bei uns zuhause und dies gut zur „Gute-Nacht-Geschichte“ über Peterchens Mondfahrt passte, die uns unsere Mutter dort erzählte.
Weitere Texte von Mathilde Wolkenstein-Rodenegg finden sich in der Lehrgangspublikation „Mosaik“ (herausgegeben von Martina Bachtrögler und Sabine Wagner-Fassmann), die im März 2019 bei Fabrik Transit erscheint und bei der Abschlusslesung am 16. März im Café Museum präsentiert wird.
Mathilde Wolkenstein-Rodenegg
Geboren 1966, Dipl. Sozialarbeiterin, Spielleiterin, Theaterpädagogin.
Mutter einer Tochter. Nach vielen Jahren in Italien lebt und schreibt sie nun wieder hauptsächlich in ihrer Geburtsstadt Innsbruck.
Sie ist Teilnehmende des Lehrgangs Schreibpädagogik 2018/2019.