Neulich im Norden
Ein Text von Brigitte Krech aus MOSAIK
Der Wind weht. Kühl und streng. Der Busfahrer ist schweigsam. Er trägt braune Sandalen und schwarze Socken. Warten auf sieben nichtankommende Passagiere, bis am Flughafen das Licht ausgeschaltet wird. Die Fahrt in dem Minibus zum Campingplatz dauert eine Stunde. Auch nach Mitternacht ist es nicht dunkel. Die erste kurze Nacht im Zelt. Ist kalt. Schwimmen in Gänsehaut. Jemand fährt mich in der Früh zum Busbahnhof. Es wird ein fabelhafter Sonnentag. Augen staunen über diese Landschaft. Über die Farben eines Sees. Über das Meer zur linken Seite der Straße. Über Hügel. Über Vulkangestein. Über die Menschenleere. Über vereinzelte Häuser. Eine kleine Kirche, die da steht. Über die klare Luft. Zweimal steige ich um. Die letzte Bushaltestelle ist eine Anhäufung aus Kies und Schotter. Aus dem Nichts fährt eine resolute Frau an. Blondhaarig mit Sonnenbrille. Sie erzählt stolz über ihre vier Jobs: Busfahrerin, Reiseleiterin, Airbnb auf einem Bauernhof und Lehrerin im Winter. Am ersten Ziel im Nordwesten der Insel. Riesenhunger. Ich esse Unmengen Linsensuppe. Am Nachmittag. Zum Wandern. Durch ein Sumpfgebiet. Bis zu einem Leuchtturm. Dort sieht mich ein Stein, der aussieht wie ein Schwamm.
Hier. Neulich im Norden. Ist das Leben anders. In der Ferne taucht ein Buckelwal auf. Die Angst vor einem Sturm lässt mich in einer Nacht in Kleidern schlafen. Ein seltsames Geräusch in einer anderen Nacht. Ein Erdbeben oder ein Gletscherkalben. Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich Papageientaucher. Neben einem Campingplatz wird Golf gespielt. Ich pinkele in Vulkanspalten und lasse mich in schwefelhaltigen Hotpots aufwärmen. Flusswasser trinke ich und probiere jahrtausendaltes Gletschereis, das in Cocktail-Portionen an japanische Luxushotels verkauft wird. Manchmal spielen wir Karten. Der Himmel erscheint strahlend, blau, grau, wütend, melancholisch, zeitlos, wolkenverhangen. Der Regen weiß, dass er erwartet wird. An manchen Tagen habe ich fünf Schichten Kleidung an. An einem Mittag drehe ich mich im T‑Shirt auf schwarzem Sandstrand. An einem anderen Nachmittag werde ich beim Spaziergang von Vögeln attackiert. In einem kleinen Künstleratelier gibt es Karottenkuchen. Drei Mal werde ich in dieser Zeit duschen. Und bin glücklich. Ein Pferd auf einer Postkarte sieht D. Trump ähnlich. Einige Male wache ich. Bibbernd vor Kälte. In der Nacht auf. Doch die Sonne geht nicht unter. Es bleibt hell in diesen Tagesnächten. Die Grenze zwischen Abend und Nacht, zwischen Nacht und Morgen bleibt verwischt. Zwei Chinesen fahren ihren Golfcaddy gegen eine Einbuchtung und jonglieren in chinesischen Sprachfetzen über dieses kleine Malheur. Ein anderer Mann schimpft vor einem russischen Paar über das Arbeitsleben. Als er weg ist, küsst der Mann die Frau. Nach zehn Tagen sehe ich den ersten Hund. Eine Art Border Collie. Der läuft frei herum und zerbeißt den Ball zweier Kinder, die sich vor ihm fürchten.
In den Vulkangebieten verliert sich jegliche Orientierung. Die Augen finden keine Ankerplätze. Zum Festhalten oder Weitergehen. In dieser kargen Mondlandschaft. Gewinnt Weite eine andere Bedeutung. Ost wird zu West. Nord zu Süd. Süd zu Ost.
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Die Fortsetzung und weitere Texte von Brigitte Krech finden sich in der Lehrgangspublikation „Mosaik“ (herausgegeben von Martina Bachtrögler und Sabine Wagner-Fassmann), die im März 2019 bei Fabrik Transit erscheint und bei der Abschlusslesung am 16. März im Café Museum präsentiert wird.
Brigitte Krech ist Wahlwienerin. Arbeitet im internationalen Umfeld. Studierte Geografie, Politik, BWL, Osteuropastudien in Heidelberg, London, Mannheim und Budapest. Derzeitige Ausbildung in Schreibpädagogik. Hobbies: Lesen, Wandern, Reisen, Schreiben, Radfahren.
Sie ist Teilnehmerin des Lehrgangs Schreibpädagogik 2018/2019.