Frankfurt FAQ. Oder: Eine Anleitung zur Buchmesse
Ein Rückblick von Barbara Rieger mit Gedanken von Martin Peichl
Dein erstes Mal?
Vor drei Jahren lief ich auf der Frankfurter Buchmesse meinem damaligen Auftraggeber hinterher, fuhr Rolltreppen hinauf, Rolltreppen hinunter, trank Sekt am Stand von Hoffmann und Campe und Wein bei Droemer Knaur. Und nun bin ich wieder auf dem Weg nach Frankfurt, diesmal als Autorin.
Anleitung zur Buchmesse (Teil 1):
Die Frankfurter Buchmesse ist auch eine Diagnose, ein Röntgenbild der Branche. Der Suhrkamp-Verlag stellt zum Beispiel Gesichter aus, überdimensionale Porträt-Fotos der Autoren (kaum Autorinnen, aber dann zeigt man gern ein wenig mehr vom Körper) und darunter ihre Bücher, beklebt mit Stickern (Beststeller, Longlist, Shortlist, Hotlist usw.) – es scheint unmöglich, Bücher ohne diejenigen zu vermarkten, die sie geschrieben haben. Der bröckelnde Mythos vom Tod des Autors.
Freust du dich schon?
Neben der Faszination von Körperlichkeit, Geschlecht und Spiegelfiguren interessiere es ihn auch, was es unserer Meinung nach heute bedeute Schriftstellerin zu sein, hat mir der Moderator der Veranstaltung „Junges Doppel“ vorab geschrieben. Eine Frage, über die ich nachdenke, während ich mich noch vor der Morgendämmerung auf den Weg zum Flughafen mache. Eine Frage, die mich weiter zu der Frage führt, ob ich als Autorin überhaupt über mein Buch reden will/soll/kann/darf/muss. Es ist kein Buch wie die „Melange der Poesie“ (Kremayr & Scheriau 2017), zu dem es eine Geschichte gibt, ein Buch, über das ich gerne spreche, weil so viele andere Menschen daran beteiligt sind.
„Bis ans Ende, Marie“ (Kremayr & Scheriau 2018) hingegen ist selbst die Geschichte, entweder man liest sie oder nicht. Über den geschriebenen Text hinaus habe ich dazu eigentlich nichts zu sagen, denke ich.
Schließlich treffe ich meine Verlagskollegin Petra Piuk und wir unterhalten uns den ganzen Flug über die schreibpädagogischen Implikationen von Petras Projekt „Schreiben am Markt“. Davor machen wir noch ein Selfie vor der Maschine und posten es auf Facebook.
„Bis nach Frankfurt, Marie“, schreibt Petra.
„Oder: Anleitung zur Buchmesse“, kommentiere ich darunter, in Anlehnung an Petras Erfolgsbuch: „Toni und Moni. Anleitung zum Heimatroman“ (Kremayr & Scheriau 2017), mit dem sie schon zum zweiten Mal zur Buchmesse eingeladen ist.
Anleitung zur Buchmesse (Teil 2):
Man kann keine Bücher kaufen auf der Frankfurter Buchmesse. Die Messe ist wie ein Porno: Man darf masturbieren, aber nicht kommen. Also wird die Liste im Kopf immer länger, am besten man schickt der Buchhändlerin oder dem Buchhändler seines Vertrauens noch vor dem Abflug die ISBN der Bücher, auf die man ganz geil geworden ist.
Und wie wars?
Die Buchmesse hat uns so enttäuscht, schimpft die Taxifahrerin. So viele Hallen hätten zugesperrt, so wenige Besucher seien gekommen. Zu welchem Eingang wir überhaupt wollen, will sie wissen. Da sie mit unserer Antwort „Haupteingang“ nicht wirklich etwas anfangen kann, führt sie uns einfach direkt in den Hof hinein. Wir können kaum glauben, dass wir die Messehallen nicht nur ohne Sicherheitskontrollen, sondern auch ohne unser Ticket vorzuzeigen, betreten können. Überhaupt hat es etwas Magisches:
Der Moment, in dem man die Halle betritt, sich orientiert, den Menschen folgt, die Rolltreppe hinauf, den richtigen Gang suchend, den Gang entlang gehend, an Ständen vorbei mit Verlagen, die man kennt, vermischt mit solchen, von denen man noch nie gehört hat. Bücher entdeckend, die man gelesen hat. Eine Anthologie, in der man selbst vertreten ist. Und irgendwann der eigene Verlag. Wo man natürlich Wein bekommen würde, wo man zur Feier des Tages sogar Wein trinken würde, wenn man nicht noch arbeiten müsste.
Anleitung zur Buchmesse (Teil 3):
Die Tageskarte ist keine Tageskarte. Keine Pointe.
Bist du nur so da?
Ich habe einen Termin bei Literadio, einen Termin im Frankfurter Kunstverein, einen Termin im Haus des Buches. Ich bin stolz, dass ich mir das endlich gemerkt habe und überrascht über so großes Interesse. Ich soll zweimal je fünfzehn Minuten, einmal zweimal je zehn Minuten lesen und außerdem über mein Buch sprechen. Ich soll ein bisschen früher da sein, die jeweiligen ModeratorInnen kennenlernen und mich mit ihnen absprechen. Was vorab abstrakt und auch ein wenig stressig klingt, macht dann tatsächlich Spaß. Die ModeratorInnen sind super vorbereitet und geben mir das Gefühl, dass es vollkommen okay ist, über den eigenen Roman zu sprechen und auch das Publikum hört interessiert zu. Beruhigend ist außerdem, dass ich nur eine von vielen, sehr vielen AutorInnen, die hier genau das machen: Ein bisschen aus dem Buch lesen, ein bisschen über das Buch sprechen. Wenn auch einer der Moderatoren nach der Veranstaltung anmerkt: Eigentlich ist mein Buch keines, über das man sprechen muss, sondern eines, das man einfach nur lesen sollte.
Anleitung zur Buchmesse (Teil 4):
Es ist ganz leicht, denke ich, unrealistische Erwartungen zu entwickeln, sich vorzustellen, das eigene Buch irgendwann in Frankfurt vorzustellen, eingeladen zu werden und auf alle Interviewfragen die passenden Antworten zu haben und sobald das Weinglas leer ist, schenkt dir jemand schon das nächste ein. Es ist ganz leicht, denke ich, in Frankfurt, den Bezug zur Realität zu verlieren. Gleichzeitig wird einem nirgendwo sonst so beeindruckend vor Augen geführt, dass das eigene Buch nur ein Konfettischnipsel ist im Meer der Neuerscheinungen.
Wozu das alles?
Interessant wird das Sprechen übers Buch besonders beim „Jungen Doppel“ gemeinsam mit Ally Klein, deren Roman „Carter“ bei Droschl erschienen ist und die dieses Jahr damit schon um den Bachmannpreis gelesen hat. Gegen Ende des Gesprächs fragt uns der Moderator, wie es uns eigentlich damit gehe, dass wir unser Geschriebenes nun promoten, d.h. vorlesen müssen. Ally Klein meint, die Tatsache die Autorin eines Werkes zu sein, qualifiziere einen noch nicht automatisch zur besten Vorleserin des Werkes. Man müsste schon etwas mehr bieten, sonst könnte auch jeder andere daraus vorlesen. Kein Spektakel, so einigen wir uns, aber etwas Performatives. Wir geben jedenfalls unser Bestes, um unseren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, wir schmunzeln über unsere Figuren, die beide „ein und ausatmen“ und schließlich haben wir uns, finden wir, einen Schnaps verdient.
Anleitung zur Buchmesse (Teil 5):
Es gibt das Frühjahrsprogramm und das Herbstprogramm. Bücher schreiben kann man aber auch in den anderen Jahreszeiten. Mein Verlag hat ein paar Postkarten mit Zitaten aus meinem Buch drucken lassen. Ich verteile sie auf der Party, ein Typ fragt mich, wie mein Buch heißen wird, geiler Titel, findet er, dann reden wir über Österreich und den Rechtsruck in Europa, wie mein Buch heißen wird, fragt er mich am Ende unseres Gesprächs noch einmal, geiler Titel, findet er.
Und die Partys?
Es ist die wärmste Buchmesse aller Zeiten, meint Michael Stavarič, den ich im großen Hof des Messegeländes treffe, mit dem ich in der Sonne sitze und schwitze. Als er mich fragt, ob ich wohl schon am nächsten Buch schreibe, schwitze ich gleich noch mehr.
Auch am Abend kühlt es nicht ab und im Saal des Literaturhauses Frankfurt, in dem die Preisverleihung der Hotlist stattfindet –„Orchis“ von meiner Verlagskollegin Verena Stauffer ist nominiert – ist es so voll und heiß, dass wir draußen warten, kurzärmlig.
Es dauert ein paar Stunden, bis sich das Literaturhaus füllt, bis die Leute aus dem Saal heraus strömen, bis sich auf den Stufen vor dem Literaturhaus immer mehr Menschen ansammeln, bis man so gedrängt steht, dass man problemlos mit jedermann und jederfrau in Kontakt kommt, sich mit Druckereibesitzern, VerlegerInnen, AutorInnen und BesucherInnen unterhält.
Morgen muss ich nicht mehr auf die Messe, also Prost, sagt der eine. Morgen muss ich noch einmal auf die Messe, also Prost, sagt die nächste.
Wenn man wollte, könnte man problemlos die ganze Nacht durchtanzen oder durchreden und die nächste Nacht gleich dazu. Wenn man am nächsten Tag nicht zum Beispiel demonstrieren wollte, wenn man nicht noch eine Lesung und ein Gespräch hätte, wenn man nicht noch durch die vollen Messehallen und sogar ein wenig durch die ebenso volle Innenstadt streifen möchte (ohne zu kollabieren), wenn man nicht trotz der ganzen Euphorie ein wenig erschöpft und müde wäre. Wenn man nicht irgendwann wieder heimfliegen und runterkommen müsste. Zum Beispiel, um in Ruhe ein Buch zu lesen. Oder zu schreiben.
Anleitung zur Buchmesse (Teil 6):
Es ist okay, noch einen Gin Tonic zu bestellen, es ist okay, ironisch zu „Smells Like Teen Spirit“ zu tanzen, ich muss an Soulwax denken und an „Too Many DJs“, if only I could sell myself the way that even I would buy, es ist okay, präventiv vorm Schlafengehen die Schmerzmittel einzunehmen. Von Frankfurt aus kann man in die ganze Welt fliegen. Sogar nach Hause.
Barbara Rieger ist Autorin und Schreibpädagogin. „Bis ans Ende, Marie“ (Kremayr & Schreriau 2018) ist ihr erster Roman. Das Gespräch auf Literadio kann man hier nachhören.
Martin Peichl ist Autor, Bibliothekar und Lehrer. 2019 erscheint sein erstes Buch „Wie man Dinge repariert“ bei Edition Atelier.
Fotos: Martin Peichl / Petra Piuk / Barbara Rieger