Nachruf für unseren Kollegen Harald Jöllinger

Eva Woska-Nimmer­voll, 9.5.2022

Ois was i brauch: a uad’ntlichs Begräbnis
mit Kameras vom ORF-TV.
Mim Kardinal ois Wachler mit dem Wedel.
Mit Minis­tranten fia die Mess glei hinten­drau.“
(Harald Jöllinger, 2017)

So ein Staats­be­gräbnis spielt’s nicht für Harald Jöllinger. Dafür haben ihn zu wenige gekannt. Hab‘ ich ihn gekannt? Konnte man das Kennen nennen?
Unsere erste Begeg­nung: in einer Schreib­werk­statt Wald­viertel bei Robert Schindel vor acht Jahren. Harald stellte sich der Gruppe vor, indem er sagte, er sage es gleich, er sei gar nicht grantig, er schaue immer so drein. Wer sich dann verstört abwen­dete, der versäumte was. Harald war ein Grantler der alten Schule – nicht, in dem er sich gleich als solcher vorstellte – dieses Unfreund­liche, das er für gewöhn­lich ausstrahlte, hatte nichts Abschre­ckendes, eher etwas Klas­si­sches in Tradi­tion der Wiener Kaffee­haus­kellner, etwas Anhei­melndes, fast Anziehendes.

Viel­leicht, weil er dabei so ehrlich wirkte. Ja, insge­heim war ich ihm seine raue Schale sogar ein wenig neidig, hatte er offen­sicht­lich keine Angst, irgendwen zu vergraulen, sondern sogar Vergnügen daran. Viel­leicht war es doch ein Spiel? Denn wer dran­blieb, hatte die Chance, diesem auffäl­ligen, „bladen“ (Eigen­de­fi­ni­tion) Typen näher zu kommen. Selbst wenn er sich im Gespräch nicht öffnete, gab es doch andere Wege, ihn zu ergründen. Vor allem durch seine bitter­bösen sati­ri­schen Kurz­ge­schichten, die seinen Hang zum Surrealen offen­barten – ebenso wie sein Talent zu zarter Poesie (erschienen unter dem Titel “Marillen & Sauer­kraut” dank Tanja Raich bei Kremayr & Sche­riau). Immer wieder kam auch etwas Zauber­haftes oder gar Rührendes in seinem Werk zum Vorschein und in allen noch so grotesken Szena­rien lag dieser Hauch von Trau­rig­keit, der gute Wiener Lite­ratur seit jeher auszeichnet.
Sein Stil war unver­kennbar. Darum wurde seine Dialekt­lyrik gerne abge­druckt, u.a. im DUM. Irgend­wann hieß es dort, man wolle künftig anonyme Einrei­chungen. Da wurde mir klar, dass Harald schon längst nicht mehr seinen Namen dazu­zu­schreiben brauchte, um als Autor seiner Texte erkennbar zu sein. Wenn ich für mich einen Jöllinger-Text lese, fängt seine markante tiefe Stimme unwei­ger­lich in meinem Kopf an, mir vorzu­lesen. Das passiert mir sogar bei seinen E‑Mails, die er mit „Werteste!“ begann. (Sollte ich mir „Aller-“ dazu denken?).
Sein äußer­li­ches Erschei­nungs­bild mag wohl der Umge­bung kommu­ni­ziert haben: Lasst’s mich in Ruhe mein Bier trinken. Aber er war ja trotzdem immer wieder gern in Gesell­schaft, mitten unter uns, bei der Leon­dinger Akademie für Lite­ratur, als „Quoten­mann“ beim BÖS, bei Work­shops im Wald­viertel und bei Lesungen. Und dann trank er auch manchmal ein gepflegtes Bier mit uns. (Und nicht nur aus der Dose allein auf der Park­bank in Wien Meid­ling, wie er es laut eigenen Angaben so gerne tat.)
Bitte niemals vergessen: Lachen konnte er auch – mal sehr schäbig, mal sehr charmant!

2013 gewann er den Irseer Pegasus. Und mehr­mals schaffte er es auf die Long­list des FM4 Wort­laut-Wett­be­werbs. Den großen Durch­bruch hat es für Harald Jöllinger aller­dings nicht gegeben. Dabei hätte ich ihm ein erfolg­rei­ches Schrift­stel­ler­leben gegönnt. Oder eine eigene altmo­di­sche Radio­show. Das erzählte ich ihm sogar, als ich ihn mal mit dem Auto vom Bahnhof abholte und mit ihm nach Bern­dorf fuhr. Zu meiner Über­ra­schung kam diese Ausfahrt sogar in einer seiner Geschichten vor. Wie viel anderes Auto­bio­gra­fi­sches war wohl noch versteckt in seinem Werk? Viel­leicht gar ein paar dieser grau­sigen Details? Gab es beispiels­weise diese unheim­liche Zimmer­pflanze wirk­lich? Man traute sich nicht zu fragen. Leider gibt es nun keine Gele­gen­heit mehr dazu: Am 30. April 2022 ist Harald Jöllinger drei Wochen nach seinem 49. Geburtstag gestorben.

Wie würde er schreiben? Sag ich halt Baba zum Harald.

Foto: Alain Barbero