Schreiben als Weg des Kopf-Ausleerens
Ein Interview mit Gudrun Kapeller
Nachdem die Mittelschullehrerin Gudrun Kapeller ihre Zweifel überwunden hatte, machte sie im Lehrgang „Schreibpädagogik“ die Erfahrung, dass niemand in einen Topf geworfen und jede/r angenommen wurde. Sie erzählt, wie die daraus gewonnenen Erkenntnisse ihren Schulalltag befruchten.
BÖS: Wie hat der Lehrgang “Schreibpädagogik” deinen beruflichen Alltag als Lehrerin beeinflusst?
Gudrun Kapeller: Ich bin den „Produkten“ meiner Schülerinnen und Schüler gegenüber offener und toleranter geworden. In Texten, die wir in kreativen Schreibphasen produzieren, achte ich viel mehr auf das, was gut gelingt, darauf, dass Geschriebenes tief berühren kann, obwohl ein Text vielleicht vor Rechtschreibfehlern strotzt. Ich erlaube meinen Schülerinnen und Schülern vermehrt, Rahmenstrukturen zu verlassen, sich nicht an vorgegebene Gerüste zu halten und Sprache als Ausdrucks-Experiment zu betrachten. Zudem traue ich meinen Schülerinnen und Schülern mehr zu. Ich bin durch den Lehrgang darin bestätigt worden, dass ALLE Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihren benoteten Leistungen und anderem notwendigen Übel nicht nur das Recht darauf haben, ihren Gedanken schriftlich Ausdruck zu verleihen, sondern das auch können, wenn man ihnen die passenden Anreize gibt. Ich kann jede/n Kollegen/in nur ermutigen, sich die Freiheit und die Zeit für Kreatives Schreiben in all seinen Facetten zu nehmen. Wenn man selbst für etwas brennt, entfacht man dieses Feuer auch in anderen und die Freude an Sprache und am Schreiben ist definitiv ansteckend, wenn man sie den Schülerinnen und Schülern spüren und selbst erfahren lässt!
BÖS: Warum hast du dich dazu entschlossen, den Lehrgang zu absolvieren?
Gudrun Kapeller: Es ist für mich schon seit einigen Jahren zu einer Art Tradition geworden, meinen Horizont regelmäßig durch Fort- und Weiterbildungen zu erweitern. Mit dem Lehrgang habe ich das erste Mal schon vor mehr als 5 Jahren geliebäugelt. Einerseits um diese persönliche Gier nach Bereicherung zu stillen, andererseits, um neue Inputs für das von vielen Schülerinnen und Schülern so verhasste Schreiben zu bekommen.
Als sprachaffine Person ärgerte ich mich im stillen Kämmerlein nicht nur ein Mal wegen des vermeintlichen „Sprachverfalls“ und der voranschreitenden „Spracharmut“, der/die unseren Jugendlichen angedichtet wird. Es wollte schon in meinen ersten Jahren als Lehrerin nicht in meinen Kopf hinein, dass man als Kind oder Jugendliche/r nicht schreiben will, wo es für mich doch so etwas wie die Luft zum Atmen ist. Warum wehren sich so viele Schülerinnen und Schüler gegen das Schreiben von Texten, sterben tausend Tode, wenn sie eine Geschichte schreiben müssen (dürfen!) und finden die richtigen Worte nicht, obwohl es so viele schöne auf der ganzen weiten Welt gibt? Und vor allem: Wie kann ich ihnen hier helfen zu überleben? Gefallen am Spiel mit Sprache zu finden? Schreiben als einen Weg des „Kopf-Ausleerens“ kennen zu lernen? Obwohl ich schon damals in meinem Unterricht durchaus experimentierfreudig war und vieles einfach ausprobierte, blieben diese Fragen unbeantwortet und der Frust beim Schreiben (Schülerinnen und Schüler) bzw. Korrigieren (ich) blieb oft spürbar. Das wollte ich – neben des Feilens an meinem eigenen Schreiben – durch die Teilnahme am Lehrgang ändern.
Trotz der damaligen Teilnahme an einzelnen Workshops des BÖS, sollte es noch ein paar Jahre dauern, bis ich mich „traute“, mich zum Lehrgang anzumelden. Unsicher und zurückhaltend war ich vor allem deshalb, weil ich als Deutsch-Lehrerin an einer Mittelschule und somit „nur“ Absolventin einer Hochschule, nicht aber der Uni, zwar schon eine gewisse Ahnung von Sprache, vom Schreiben, von Schreibimpulsen und kreativem Schreiben hatte, aber oft das Gefühl hatte, zu wenig von sprachlichen Analysen, Textinterpretationen und „richtiger“ Germanistik zu wissen. Schlussendlich stellte sich diese Sorge als völlig unbegründet heraus: Unsere Lehrgangsgruppe war bunt gemischt, jeder hatte seinen eigenen Lebens- und Bildungshintergrund und jede/r Dozent/in verstand es herausragend, uns nicht in einen Topf zu werfen, sondern Geschriebenes und Gesagtes anzunehmen, zu würdigen und uns produktiv zu kritisieren, zu „formen“ und uns in unserer Weiterentwicklung zu begleiten.
BÖS: Kannst du eine konkrete Situation beschreiben, in der du von den Erkenntnissen des Lehrgangs profitiert hast?
Gudrun Kapeller: Freitagmorgen. Das Wochenende steht vor der Tür. Ich bin aufgrund einiger Vorkommnisse froh, wenn diese Schulwoche endlich vorüber ist, und so ergeht es wahrscheinlich auch der ein oder anderen Person, die nach der großen Pause in der Klasse vor mir sitzt. Corona hat seine Spuren hinterlassen, irgendwie ist der „normale“ Schulalltag noch immer nicht ganz normal, wir Lehrerinnen und Lehrer hadern mit manchem genauso wie die Schülerinnen und Schüler, außerdem ist es mittlerweile Ende Mai und somit die Luft in einer Abschlussklasse sowieso irgendwie schon mehr draußen als drinnen (auch, wenn wir regelmäßig lüften). Meine Erwartungen sind an diesem Freitag nicht hoch. Es soll einfach eine Stunde werden, in der wir gut miteinander arbeiten, denn erstaunlicherweise haben wir in Deutsch gerade so etwas wie einen „Flow“ und das möchte ich ausnützen.
In der letzten Stunde haben wir Rilkes „Panther“ thematisiert: Wir haben ihn zusammengepuzzelt ohne zu wissen, wir haben ihn gelesen, ein bisschen darüber philosophiert, wovon da überhaupt die Rede ist und das ohne zu wissen, dass Rilke von einem Panther schreibt, weil ich die Gedankenströme der Kinder nicht durch die Überschrift beeinflussen wollte. Nein, wir haben weder großartig über Verse, Strophen und das Reimschema noch über Hyperbeln, Metaphern und Personifizierungen gesprochen. Die Frage war eher: Welche Stimmung schwingt mit? Wie geht es dem, von dem Rilke da schreibt? Was macht das mit uns in der momentanen Zeit? Die Meinungen und Ansichten der Schülerinnen und Schüler haben mich in dieser letzten Stunde geflasht – da kam so viel, wir hätten locker in dieser heutigen Freitagsstunde gemeinsam eine klassische Gedichtinterpretation schreiben können, indem wir das alles, was in den Raum geschmissen wurde, à la „Rilke schreibt in seinem Gedicht von…“ sortieren. Wollte ich aber nicht! Stattdessen sollen sich die Kids heute an Haikus versuchen. Silben zählen muss auch noch Ende Mai gehen! Außerdem haben wir in einer der letzten Stunden anhand verschiedener Texte thematisiert, dass sich nicht jedes Gedicht reimen muss (Erleichterung bei manchen spürbar), dass man als Verfasser/in ziemlich frei ist ‚was Worte und Gedanken und deren Verschriftlichung angeht und dass in eigens kreierter Lyrik eigentlich nichts falsch sein kann. Perfekte Voraussetzungen für eine weitere Deutsch-Stunde mit „Flow“.
Was am Ende in dieser Freitagsstunde vor dem Wochenende herausgekommen ist? Ich lasse die Haikus der Schülerinnen und Schüler (manche waren so lieb und haben sie mir bzw. dem BÖS zur Verfügung gestellt…) für sich sprechen und bedanke mich an dieser Stelle bei „meinen“ Kindern für ihr Mitmachen und ihr Experimentieren sowie beim BÖS für das Aufrechterhalten des Feuers in mir (und die Möglichkeit in diesem Beitrag davon zu berichten).
Die Haikus der SchülerInnen findet ihr hier.