Buch­tipps für den Frühling

Eine Auswahl von Petra Ganglbauer

Dine Petrik:  HANDGEWEBE lapis­blau / lyrics  artge­redet  vertont

Verlag Biblio­thek der Provinz, Weitra, 2023.

Einer unge­heuren Span­nung sind die jüngsten Gedichte Dine Petriks ausge­setzt, einer Span­nung in der Textur dieser ebenso straff wie souverän kompo­nierten Lyrik. Der so gespannte Bogen entsteht nicht nur aus der exakten Archi­tektur und singu­lären Stimm­füh­rung, sondern auch aus dem Inhalt dieser Gedichte.

In einem unaus­ge­setzten Kräf­te­messen finden sich das „Hier & das Dort“, das „Noch Nicht“ wie das „Nicht Mehr.“ Es gibt somit keinen Still­stand in diesen vitalen, atem­losen Texten, die so aufmüpfig und wider­ständig anmuten und die Poeti­sie­rung des Gesell­schafts­all­tags vorantreiben.

Was für ein Rhythmus macht die Qualität dieser Gedichte aus! Ein wieder­keh­render „Run“, der mittels Inter­fe­renzen oftmals gezielt unter­bro­chen oder gestoppt wird.

abstand halten von den falten/ rissen an der stirn noch über den/ september jede vorstell­bare tat/ die wech­sel­spiele eros-tana­to­s/bei Britten: cantus firmus“
(VORSTELLBAR)

Sehr empfeh­lens­wert!

 

Kirstin Schwab: WIR TEILEN UNSER UNGLEICHGEWICHT

Gedichte. Löcker, Wien, 2023.

Aufge­spannt zwischen Isola­tion, Verein­sa­mung und dem Gespräch mit der Außen­welt, durch­wirkt vom Einsi­ckern der Dinge und Wesen ins lyri­sche Ich, finden sich die Gedichte von Kirstin Schwab. Schein­bare Wider­sprüche tun sich auf, die sowohl in der Sprache selbst als auch im Mate­ri­ellen verwur­zelt sind:
„stehe ab/ zu mir/ ab von mir…“ (Abstand halten).

Zum einen auf sich selbst, also das spre­chende Subjekt zurück­ge­worfen, zum anderen in einer Art tangen­tialer Annä­he­rung an ein Du – zeigen die Gedichte Brüche auf, Risse im Inner­see­li­schen wie im Außen.

Eine gewisse Unbe­haust­heit wird ange­spro­chen, sei es gesell­schaft­lich oder privat. Ersteres signa­li­siert auch das Herein­holen der poli­ti­schen bzw. sozialen Wirk­lich­keit in die lyri­sche Refle­xion: „Käfige/ über die Augen/ gezogen…“, „…alles verwal­tende Zungen“.
(die Erlauber).

So benannt die Dinge in diesen Gedichten auch sein mögen, so sehr sind sie einem Schwe­be­zu­stand ausge­lie­fert; etwas zutiefst Lyrisches.

 

Gerda Sengst­bratl: reisen in nächten

edition libica, Wien, 2022.

Gerda Sengst­bratl betritt in diesem Buch mit dem unprä­ten­tiösen Titel, der gänz­lich im Wider­spruch zu den oszil­lie­renden Texten steht, lite­ra­ri­sche Pfade, die einer­seits Tradi­tion haben – man denke nur an die Traum­auf­zeich­nungen im Surrea­lismus –, ande­rer­seits aber in Zeiten wie diesen zu einer ausge­wie­senen Selten­heit geworden sind.

Achtsam gesam­melte Träume wie Juwelen oder Kleinode, mit ebenso wunder­samen wie unge­wöhn­li­chen Skizzen der Autorin ausge­stattet, sind das.
Letz­tere wurden da und dort den in Kapitel einge­teilten Tage­buch-Aufzeich­nungen zur Seite gestellt. Diese metho­disch erträumten Text- und Bild-Welten, ange­rei­chert mit hand­schrift­li­chen Text­stellen, muten wie chro­ma­ti­sche Paral­lel­uni­versen oder wie zündende, tröst­liche, oftmals kleinste Bege­ben­heiten an, die zumin­dest kurz­fristig die harsche Außen­welt vergessen lassen.

Klar sehe ich eines: lila­gelb mit einer/ Hand auf einem Veilchenbüschel.“

Bücher wie dieses sind in ihrer Ästhetik Kost­bar­keiten und sollten ein breites Publikum erreichen.

 

 Sandra Hubinger: Von Krähen und Nüssen

Kurz­prosa. edition keiper, Graz, 2022.

Blick, Ding, Geste; das Dazwi­schen: Zwischen Mikro- und Makro­welt bewegt sich das Universum in diesem Kurz­pro­sa­band Sandra Hubingers.

In weiten Teilen muten die Szenen an, als wären sie aus einer Frosch­per­spek­tive erzählt. Wesen, teil­weise namenlos, tummeln sich zwischen höchst realen Bild­ein­stel­lungen und verleihen dieser Lite­ratur etwas Magi­sches. „Den Zauber wollte ich fort­setzen und blin­zelte als Nächstes Fell­tiere herbei.“

Ungreifbar, lako­nisch, ironisch und dennoch höchst glaub­würdig baut die Autorin ein Neben­ein­ander von kleinsten, unschein­baren oder auch fein­stoff­li­chen Elementen und realen Szenen.

Sinn­lich und synäs­the­tisch sind diese Texte, denen auch eine Schreib­re­fle­xion inhä­rent ist, allemal.

Sie beruhen auf einer feinen Wahr­neh­mung und zeugen von einer großen Liebe zum Irdi­schen wie zum Unwägbaren.

 

Semier Insayif: unge­stillte blicke oder vom bebil­dern eines kopfes / und beschriften desselben

Klever Verlag, Wien, 2022.

Zwischen Anschauung, Betrach­tung und Vertie­fung einer­seits, und einer dyna­mi­schen, äußerst bewegten Annä­he­rung an die Welt der Bilder und der Malerei, des Blicks und Erken­nens ande­rer­seits, bewegt sich dieses gattungs­über­schrei­tende jüngste Buch Semier Insayifs.

Der Wechsel zwischen der Wirkung von Bildern, die im Kopf entstehen, und jenen, die von der Außen­welt gewis­ser­maßen „indu­ziert“ wurden, macht den dyna­mi­schen Fluss dieser Lite­ratur aus, die mit äußerster Diszi­plin kompo­niert wurde und einer Partitur gleicht.

Immer wieder unter­nimmt der Autor neue formale Anläufe, die der Inter­de­pen­denz von konkreten Teil­aspekten des Themas und dessen formaler Umset­zung entspre­chen. Insis­tie­rend, einkrei­send, lyrisch das eine, essay­is­tisch das andere Mal. Die Texte sind weit gefasst und skiz­zen­haft. Sprach­re­flexiv sind sie alle.
„geknickt die sehspur geschliffen/ there is a distinction/ between fact und truth / mit linien punkte gestrichen/ gekne­belt bis zur unkennt­lich­keit“ („ein unbe­hagen“ nach lucian freud: „Self-portrait“, 1985.)

(Sprach-)Philosophen, Psycho­logen, Künstler und Kunst­theo­re­tiker leiten die einzelnen Abschnitte der lite­ra­ri­schen Annä­he­rung an die Welt des Sehens und der Bilder ein.

Ein konzis gemachtes Buch, das gerade wegen seiner Präzi­sion ein einziger Sprach- und Bild­kosmos ist.