Der Geruch der Seele – Jad Turjman

Eine Rezen­sion von Maria Aschenwald

Eine Liebes­ge­schichte in Zeiten von Krieg und Revolution

Im Juni 2010 studiert Tarek arabi­sche Lite­ratur an der Univer­sität von Damaskus. Arabisch­lehrer will er nicht werden – das Schul­system ist ihm zu repressiv und verhasst. Er liebt die Sprache, Geschichte und Kalli­gra­phie und schreibt Gedichte – auch regime­kri­ti­sche. Mit seiner Familie lebt er in einem reichen Stadt­teil von Damaskus, in dem viele Beamte und hoch­ran­gige Offi­ziere leben, es eine Viel­falt an Reli­gionen und Konfes­sionen gibt und Jasmin in jedem Garten blüht. Sein Vater leitete das Büro des Vize­prä­si­denten, bis dieser wegen Bestechungs­vor­würfen das Land verlassen musste. Ein sozialer und finan­zi­eller Abstieg für Tareks Familie folgte, den Tarek vor seinen reichen Freunden zu verbergen versucht.

Tarek – ein Sunnit – verliebt sich in die schöne Sanaa, die eben­falls an der Univer­sität studiert. Sie ist das einzige Kind eines mäch­tigen Gene­rals und Alawitin. Zudem stellt ihr Saker, der Sohn eines Oberst und des mäch­tigsten Mannes beim syri­schen Geheim­dienst, nach.

Obwohl Alawiten und Sunniten isla­mi­schen Konfes­sionen ange­hören, sind die reli­giösen Gegen­sätze so groß, dass es in Tareks sunni­ti­scher Familie akzep­ta­bler wäre, eine Christin zu heiraten, wie es sein Onkel getan hat, als eine Alawitin. Für Sanaas Vater, der der herr­schenden Klasse ange­hört, die größ­ten­teils aus Alawiten besteht, wäre eine Verbin­dung seiner Tochter mit einem Sunniten ein totaler Gesichtsverlust.

Doch auch Sanaa verliebt sich in Tarek, sie treffen sich heim­lich und es wird für sie immer klarer, dass eine gemein­same Zukunft in Syrien nicht möglich ist. Eine Intrige Sakers, hat Tareks Ausschluss von der Univer­sität und seine Einbe­ru­fung zum Militär zur Folge. Tarek kann letzt­lich nach Europa fliehen, beim Versuch ihm zu folgen, gerät Sanaa in die Gefan­gen­schaft des IS.

Turjman erzählt von einer Gesell­schaft, deren Vorstel­lungen von Moral, Liebe und Sexua­lität uns befremden, obwohl die Bedürf­nisse und Sehn­süchte der Menschen nicht wesent­lich anders sind. In kurzen Kapi­teln, die jeweils mit Schau­platz, Jahr und Monat über­ti­telt sind und zeit­lich zwischen 2010 und 2015 springen, erzählt der Autor nicht nur die Liebes­ge­schichte. Sehr viele Themen werden berührt: patri­ar­chale Gewalt, Protest­be­we­gung, Revo­lu­tion, Zwangs­ver­hei­ra­tung, reli­giöser Indok­tri­nie­rung und Desil­lu­sio­nie­rung, allge­gen­wär­tige Korrup­tion und Unter­drü­ckung, aber auch Frei­räume und die Hete­ro­ge­nität der Gesell­schaft und der Protest­be­we­gung in Syrien. Die Kapitel über Sanaas Gefan­gen­schaft sind in Ich-Form und kursiv geschrieben, beruhen laut Klap­pen­text auf authen­ti­schen Erleb­nissen und handeln auch von auslän­di­schen Kämpfer*innen. Die Schwie­rig­keiten des Daseins als Geflüch­teter werden ange­spro­chen, die stän­dige Angst um die Lieben zu Hause, aber auch vor dem langen Arm des syri­schen Geheim­dienstes. Im Gast­land gibt es Abwer­tungen und Miss­ver­ständ­nisse, große Hilfs­be­reit­schaft und erstaun­liche Begegnungen.

In einfa­chen Worten entfaltet Tudjman, der auf Deutsch schreibt – wovor ich große Hoch­ach­tung habe – eine enorme Viel­falt an Themen. Vieles kann natur­gemäß nur ange­rissen werden und wirkt manchmal auch ein wenig plakativ. Die arabi­sche Mutter­sprache ist sehr bilder­reich und die Über­tra­gung ins Deut­sche ist meiner Meinung nach nicht leicht, sodass nicht alle Bilder und Formu­lie­rungen ganz stimmig sind. Viel­leicht hätte hier das Lektorat mehr Unter­stüt­zung bieten können.

Jad Turjman wurde1989 in Damaskus geboren, studierte engli­sche Lite­ratur und war in der Stadt­ver­wal­tung von Damaskus tätig. 2014 flüch­tete er und lebt seit 2015 in Salz­burg. Über seine Flucht schrieb er sein erstes Buch „Wenn der Jasmin auswan­dert. Die Geschichte meiner Flucht“ , das 2019 erschienen ist. Seit 2020 tritt er auch mit seinem ersten Solo­pro­gramm „Der Flücht­ling ihres Vertrauens“ auf. “Der Geruch der Seele“ ist sein erster Roman.

 

Maria Aschen­wald, November 2021

Für die Rezen­sionen sind die jewei­ligen Verfas­se­rInnen verantwortlich.

 

Jad Turjman: Der Geruch der Seele
Wien-Salz­burg:  Resi­denz Verlag 2021
‎256 Seiten
22 EUR
ISBN 978–3701717477

 

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