Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin – Stefanie Sargnagel
Eine Rezension von Barbara Rieger
Als Sarah, ein kiffendes Mädchen aus Zürich, in Stefanies Klasse kommt, beginnt „der spaßige Teil“ von Stefanies Jugend, an dem sie uns mit ihren Aufzeichnungen teilhaben lässt. Sie zeigen eine Seite von Wien, die manchen fremd sein mag. Eigentlich wollen die beiden Fünfzehnjährigen nach Granada auswandern, bleiben aber erstmal im Café Stadtbahn hängen. Gemeinsam verbringen sie dann sowohl die Freizeit sowie – in Stefanies Fall – zunehmend auch die Schulzeit, damit, durch den Bezirk zu streifen, im Türkenschanz und später im Votikpark abzuhängen und in diversen Hittn (Hütten) Gras zu besorgen. Denn bekifft (dicht) zu sein, hat neben der Weltrevolution oberste Priorität, lange vor der Liebe oder gar der Schule. Das Schulsystem ist vielmehr Stefanies ständiger Feind, außerdem findet sie das Leben auf der Straße um vieles interessanter. Dass sie damit Recht hat, beweist ihr Text. Sie schildert darin vor allem zahlreiche Begegnungen mit verschiedensten Menschen, die nicht ins System passen oder passen wollen. Einer davon, der sogenannte Aids-Michl, wird zu einer wichtigen Bezugsperson, die auch mit einem Foto im Buch verewigt ist. „Michi war mein Lehrer und ich seine Auszubildende”, seine Wohnung dient als Refugium, in dem Jugendliche und allerlei dubiose, „im Grunde aber harmlose” Gestalten ein- und ausgehen, und das nicht immer durch die Wohnungstür. Dass sich darunter nur eine Person befindet, die die jugendliche Stefanie einschüchtert, ist genauso eine Leistung wie die Tatsache, dass der Text trotz der vielen Namen, Personen und im Prinzip ähnlichen Geschichten nicht redundant wirkt.
Sargnagel blickt nah und genau und gleichzeitig distanziert auf andere und sich selbst, schildert in klarer Sprache ihre Beobachtungen und Erlebnisse und evoziert damit mal mehr und mal weniger subtil Kritik am herrschenden System und Mitgefühl mit jenen, die nicht hineinpassen (wollen). Manchmal liest es sich lustig, zum Beispiel, wenn sich die Autorin zum ersten mal als Bierverkäuferin vor dem Flex versucht. Manchmal wird es traurig, zum Beispiel wenn die ehemalige Geografielehrerin, für die Stefanie früher Vulkane gemalt hat, ihr nahelegt, die Schule abzubrechen, weil keiner der Lehrer mehr Lust hätte, sich um sie zu bemühen. Gegen Ende der Aufzeichnungen erfahren wir ansatzweise, wie aus dem „kiffenden Hippiemädchen” trotzdem „etwas geworden“ ist, nämlich die selbstbewusste und eigenständige Künstlerin, die sie vermutlich immer schon war und die heute als Stefanie Sargnagel berühmt ist.
Barbara Rieger, November 2020
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Stefanie Sargnagel: Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin
Rowohlt Hundert Augen, 2020
EUR 20,60
ISBN: 978–3‑498–06251‑4