Triceratops – Stephan Roiss
Eine Rezension von Kathrine Bader
In aneinander gereihten Szenen schildert ein nicht weiter definiertes Wir, was vor sich geht. Es nimmt dabei eine Perspektive in der Art eines außenstehenden Reporters ein. Wie mit einer Kamera werden die Geschehnisse präzise festgehalten, Gefühle und innere Vorgänge bleiben unausgesprochen. Hinter dem Wir verbirgt sich ein Junge, ein braves Schulkind, adipös, Bettnässer, von Neurodermitis geplagt bis zum Sich-Blutig-Kratzen. Seine Fragen, etwa die nach dem toten Großvater, gehen ins Leere. Wenn er seine von Depressionen gebeutelte Mutter tröstet, ist ihm die autistisch veranlagte große Schwester keine Hilfe. Während der Zeit, in der seine Mutter in der „Geschlossenen“ ist, wird er bei Nachbarin, Tante oder Großmutter untergebracht. Der Vater zappt sich derweil durch die Fernsehkanäle oder zündet sich eine Zigarette an. Eine kaputte Familie. Kein Wunder, wenn sich das Wir in die Welt der Monster, Drachen und Dinosaurier flüchtet, sich einen innerlichen Panzer und ein Schutzschild zulegt wie der Triceratops.
Im zweiten Teil des Romans ist das Wir schon älter. Verliebt sich im Ferienlager. Versagt beim Ferialjob. Sorgt sich um seine zunehmend verwirrte Großmutter. Ist magisch angezogen von der Waldhütte des Großvaters. Schwänzt die Schule. Übernachtet im Freien. Taucht mit einem Geschwisterpaar in einer leerstehenden Wohnung unter. Stellt sich stumm. Begibt sich auf die Reise ins Rotaugebirge, wo er selbst nicht weiß, was er dort finden wird. Telefoniert mit dem Vater, der seine Hilflosigkeit im Alkohol ertränkt. Hält sich von seiner inzwischen selbst zur Mutter gewordenen Schwester fern.
Erst im dritten – dem kürzesten – Romanabschnitt wird ein personaler Außenblick auf den Jungen geworfen, wie er wieder einmal seine Schwester in einer Anstalt für geistig abnorme RechtsbrecherInnen besucht.
Bezeichnenderweise bleiben die engsten Familienmitglieder im Gegensatz zu den anderen Personen namenlos, auch die Stadt ist unbenannt. Aus der Spannung zwischen diesem Schwebezustand, den mehr angedeuteten als ausgesprochenen Familiengeheimnissen und den detailgenauen Beobachtungen, etwa von Tieren oder Pflanzen, entsteht ein Sog, dem man sich kaum entziehen kann.
Kathrine Bader, im November 2020
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Stephan Roiss: Triceratops
Kremayer & Scheriau, August 2020
208 Seiten
EUR 20,00 (Deutschland)
ISBN 978–3‑218–01229‑4
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