Echos Kammern – Iris Hanika

Eine Rezen­sion von Barbara Rieger

Der neue Roman von Iris Hanika ist ein komplexes und kurz­wei­liges Buch über New York, Berlin und die Ukraine, über Gentri­fi­zie­rung, Unter­schiede zwischen den Gene­ra­tionen, Kommu­ni­ka­tion und incom­mu­ni­cado, über Echo und Narziss, über Spie­ge­lungen und nicht zuletzt über das Schreiben, das Leben als Schrei­bende und die Dich­tung im Verhältnis zur Wirk­lich­keit. Die drei Haupt­fi­guren – Sopho­nisbe, Roxana und Josh – schreiben alle an konkreten Projekten.

Es ist ein Roman voller Ironie und über­ra­schender Details, die sich am Ende gekonnt zu einem Ganzen zusam­men­fügen. Geglie­dert ist er in fünf Teile, ein Zwischen­spiel und einen Anhang.

Im I. Teil (New York) begleiten wir Sopho­nisbe – von ihren Eltern so genannt nach dem Selbst­por­trät von Sofo­nisba Angu­is­sola aus dem Jahr 1554. Sie macht sich Notizen, um diese später in einer eigens kreierten lenge­witch aufzu­schreiben: „Ich will berichten von was ich habe gesehen und was ich habe erlebt in New York City.” In diesen Auszügen aus Sopho­nisbes Manu­skript geht es beispiel­weise ums Reisen und Ankommen, um Geld, das Wasser, Hunde und um den Himmel, der in New York kaum und in Berlin überall zu sehen ist.

Sopho­nisbe ist auf der Suche nach einer neuen Form für ihr Schreiben. Vor fünf­und­zwanzig Jahren debü­tierte sie mit dem Gedicht­band „Mythen in Tüten”, für sie selbst aus heutiger Sicht „verschmockte Verse von damals”, auf die sie aller­dings immer wieder ange­spro­chen wird, hat sie doch darin den Mythos von Echo und Narziss aktua­li­siert, „sie war die, die es umge­dreht, die weib­liche Seite in den Vorder­grund gestellt, den akade­mi­schen Femi­nis­tinnen schönes Mate­rial geschaffen hatte usw.” So ist der Mythos von Echo und Narziss eines der Leit­mo­tive des Textes.

Gleich zu Beginn von Sopho­nisbes Aufent­halt tritt ihr persön­li­cher Engel mit einem Papp­be­cher voll Kaffee an ihren Tisch und bringt sie in ein Pent­haus voller unfassbar schöner Menschen. Dass es sich dabei um keinen Traum handelt, bestä­tigt sich, als sie einen der Party­gäste wieder­trifft und er sie anspricht: „Du erin­nerst dich nicht? Wir haben getroffen uns bei Jour fixe von Beyoncé.”

Josh ist ein junger Dokto­rand aus Yale mit einem schönen jüdi­schen Gesicht, „das er einfach so in der Gegend herum­trug, und sie ärgerte sich, weil sie das beson­ders bemerkt hatte – als sei sie noch immer nicht an die Gegen­wart von lebenden Juden gewöhnt.” Josh lernt Deutsch und forscht über die Geschichte der West­ukraine im 19. Jahr­hun­dert. Obwohl er Sopho­nisbe fast mit jedem seiner freund­lich gemeinten Sätze und Fragen ermüdet oder sogar verär­gert, lässt sie sich aus Höflich­keit und Gutmü­tig­keit nichts anmerken und stellt ihn sogar ihrem Bekannten Alf und seiner Frau Deborah vor, deren Vorfahren aus der Ukraine stammen. Alf wiederum vermit­telt Sopho­nisbe, die schon seit Jahren auf eine eigene Wohnung verzichtet, ihre nächste Unter­kunft in Berlin in der Wohnung von Roxana.

Roxana, bei der Sopho­nisbe im II. Teil (Berlin) einzieht, ist wiederum Autorin der Ratge­ber­serie Rosis Rote Rate­geber, in denen es um Umgangs­formen sowie um den Umgang mit z.B. „Arro­ganten und Eitlen” oder „mit Kindern und ihren Ange­hö­rigen” geht. Auch sie ist auf der Suche nach einer neuen Form und schreibt – höchst unmo­ti­viert – an einem Buch über Kommu­ni­ka­tion. Roxana hat in ihrem Leben alles erreicht und absol­viert es nunmehr wie eine Plicht. „Auch ernährte sie sich gut, damit zur Lange­weile keine Gebre­chen hinzu­kämen, denn das wäre doch unerträglich.”

Im III. Teil (Ereig­nisse) erlebt Sopho­nisbe den Verkehrs­un­fall des „eins­tigen Mann ihres Lebens” mit und wird sich dabei wieder einmal über den Unter­schied zwischen Wunsch und Wunsch­er­fül­lung bewusst.

Roxana hingegen verliebt sich im IV. Teil (Wahn) auf den ersten Blick in den wesent­lich jüngeren Josh, der in Berlin zu Besuch ist. Roxana zeigt Josh die Stadt, aber verrät ihm nichts von ihren Gefühlen, von denen sie selbst natür­lich genau weiß, dass es sich um einen Wahn handelt. Sie tauscht sich aller­dings mit Sopho­nisbe aus, die ihr unter anderem erläu­tert, dass sie sich in Wirk­lich­keit gar nicht in ihn verliebt hätte, sondern nur in sich selbst.

Wie dies alles im V. Teil aufge­löst wird, soll hier nicht verraten werden.

Inner­halb der Teile folgen verschie­dene Text­formen orga­nisch aufein­ander. Prosa, darunter Auszüge aus Sopho­nisbes Manu­skript in ihrer eigenen Sprache, Auszüge aus Roxanas Ratge­bern, Lyrik, E‑Mail-Korre­spon­denzen, Tage­buch­ein­träge, Notizen und zahl­reiche Zitate. Es findet sich Text­stellen auf Englisch, Russisch, immer wieder auch auf Fran­zö­sisch. Als „Zwischen­spiel” ist eine Erzäh­lung einge­fügt, in der sich die Berliner Bürge­rInnen gegen die Gentri­fi­zie­rung von Berlin zur Wehr setzen. Auch die Erzähl­in­stanz (oder gar die Autorin?) selbst ist im Text präsent, erklärt zum Beispiel – den jüngeren Lese­rInnen – wofür RAF steht oder erlaubt sich sogar Scherze: „Nein, das hat er natür­lich nicht gesagt, ich mach´ nur Spaß.”

Es macht jeden­falls großen Spaß, dieses kosmo­po­li­ti­sche, intel­li­gente und humor­volle Buch zu lesen, nicht nur, aber beson­ders, wenn man selbst schreibt oder gar Schreiben unterrichtet.

Barbara Rieger, August 2020
Für die Rezen­sionen sind die jewei­ligen Verfas­se­rInnen verantwortlich.

Echos Kammern: Iris Hanika
Graz/Wien: Lite­ra­tur­verlag Droschl, 2020
240 Seiten
Euro 22,00
ISBN: 9783990590560

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