Einzeller – Gertraud Klemm
Eine Rezension von Barbara Rieger
Es beginnt harmlos, fast ein wenig lustig: Fünf Frauen ziehen gemeinsam in die Wohngemeinschaft Bienenstock, die kurz nach ihrer Gründung Teil einer Reality-TV-Show wird. Drei der WG-Bewohnerinnen (Maren, Eleonora & Simone) sind älter und kennen sich länger, zwei (Flora & Lilly) sind jünger und neu hinzugekommen. Alle fühlen sich dem Feminismus verbunden. Doch Moment, gibt es DEN Feminismus überhaupt (noch) und wenn ja, wofür steht er und wofür soll er heute kämpfen? Lässt er sich noch vereinen oder ist er in tausend Stücke zersprengt? Anhand der inneren und äußeren Konflikte der fünf Figuren werden diese Fragen fast exemplarisch verhandelt
„Prostitution ist plötzlich Sexarbeit, der historische Feminismus ist plötzlich weiß und kolonial, tiefverschleierte Frauen sind plötzlich ermächtigt und das Wort Frau ist plötzlich transfeindlich. Ich habe echt Schwierigkeiten damit”, gibt Simone zu.
Was anfangs manchmal parodistisch anmutet, wird zunehmend existentieller. Wo es zuerst noch um unerlaubte WG-Hasen und den im Fernsehen hinterlassenen Eindruck im Vergleich zur Queeren- und zur Oma-WG geht, nähert sich die Handlung im Verlauf immer mehr dem Eingemachten.
Erzählt wird abwechselnd aus der Perspektive der „alten, hartgesottenen“ Simone und der „jungen, unbedarften” Lilly. Während sich Erstere bis zum Burnout gegen ein neues Abtreibungsgesetz einsetzt und gleichzeitig mit dem Feind in Gestalt des Ministers der konservativen Partei ins Bett geht, lässt sich Zweitere – die Rezensentin kann es nicht anders formulieren – nicht nur vom Mitbewohner ihres Partners ficken und schwängern, sondern versucht sich mit ihm auch noch in konventioneller Familiengründung. Dass dabei die Wohngemeinschaft zerfällt, ist eines der geringeren Übel, die sich zum Ende des Buches hin auftun.
Gertraud Klemm verbindet gekonnt Politisches mit Privatem, feministische Positionen und Streitfragen mit Einzelschicksalen, Programmatisches mit Narrativem, Brutales mit Liebevollem. Sie legt den Finger nicht nur auf die Wunden, sondern drückt tief hinein. Wie auch immer heutige Feminist*innen zu den einzelnen Figuren und deren Positionen stehen, lesen sollten sie dieses Buch auf jeden Fall.
Barbara Rieger , im Juni 2023
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Gertraud Klemm: Einzeller
Wien: Kremayr & Scheriau 2023
308 Seiten
24 EUR
ISBN: 978–3‑218–01382‑6
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