feuchtes holz – Sophia Lunra Schnack

Eine Rezen­sion von Barbara Rieger

Die Rezen­sentin lernte die Autorin vor etwa zwei Jahren flüchtig kennen. Wir spra­chen über den Text, an dem sie gerade arbei­tete und über die Sorge, dafür keinen Verlag zu finden, denn: Es sei ein gattungs­über­schrei­tender Text. Es gebe Prosa und Lyrik darin.

Nun, der Verlag wurde gefunden: „feuchtes holz” von Sophia Lunra Schnack ist im Herbst 2023 im Otto Müller Verlag als Roman erschienen. Ein expe­ri­men­teller, gattungs­über­schrei­tender, poeti­scher und, was Form und Inhalt betrifft, durchaus auch mutiger Roman.

Inhalt­lich begeben wir uns auf die Reise eines lyri­schen Ichs, welches zu Beginn aller­dings ein lyri­sches Du ist: „Wenn du dich freust über den leeren, bummelnden Zug, wenn du suchst nach Bergen vergan­gener Sommer: kannst immer besser benennen, immer mehr krib­beln gegan­gene Wege in dir.”  (S.9)
Es ist eine Reise zu den eigenen Erin­ne­rungen an die Groß­el­tern, eine Reise durch die Erin­ne­rungen der Groß- und Urgroß­el­tern hindurch, eine Aufar­bei­tung der Fami­li­en­ge­schichte, die sich in immer neuen zeit­li­chen und örtli­chen Schichten eröffnet und erschließt.
Kriegs­er­leb­nisse und trans­ge­ne­ra­tio­nale Trau­mata werden verhan­delt, auch der eigene – dein – Umgang damit spielt eine Rolle, das Suchen und Finden von Worten zu großen Themen: Tod, Verlust, Liebe und unser Umgang mit der NS-Zeit, mit Schuld. Verwoben wird dies mit Natur- und Orts­be­schrei­bungen und immer auch mit Bewe­gung. Nicht zuletzt geht es um das Verhältnis von Lite­ratur zur Wirklichkeit:

immer dein suchen dein
formen
einer möglichst perfekten
geschichte im
realen im fiktiven“ (S.30)

Die Form des Romans erin­nert an einen Fluss, der stets sein Aussehen ändert, aber dennoch derselbe Fluss bleibt. Lyri­sche Stro­phen mit relativ expli­zitem Inhalt wie die oben zitierte stehen neben verschlüs­selten. Dann wieder lyri­sche Prosa, die manchmal vage, dann wieder konkret ist: „Dein Zittern beim Lesen, beim Tippen, immer weiter: wie sich die Ängste vor seiner Entlas­sung reali­siert, wie er heraus­ge­gangen ohne Abfer­ti­gung, ohne Anspruch auf Pension. Wie er durch die Wirt­schafts­säu­be­rungs­ge­setze seinen Beruf verloren, die öster­rei­chi­sche Staats­bür­ger­schaft, seinen Titel, sein Vermögen” (S. 116). Groß und Klein­schrei­bung wech­seln sich ab. Kursiv­schrei­bung. Das Ellip­ti­sche zieht sich durch, Wörter, die ausge­lassen stärker wirken als ausgeschrieben.

Der Roman ist in die Teile „einlaufen”, „vermi­schen”, und „abrollen” geglie­dert, inner­halb der Teile geben Über­schriften Hilfe bei der Orien­tie­rung und sind gleich­zeitig Para­texte für sich selbst. Eine Widmung ist voran­ge­stellt: „Für meine Groß­el­tern.” Even­tuell hätten biogra­fi­sche Eckdaten der Groß­el­tern und Urgroß­el­tern, z.B. als Nach­wort, bei der Lektüre geholfen, sich noch mehr auf den Fluss der Sprache konzen­trieren zu können.

feuchtes holz” stand auf der Short­list des RAURISER LITERATURPREISES für das beste Prosa-Debüt in deut­scher Sprache 2024 und wurde mit dem HAYMON achensee.literatour Stipen­dium 2024 ausge­zeichnet. Die Rezen­sentin wünscht dem Buch und der Autorin noch viele weitere Auszeich­nungen und vor allem: Leser*innen.

 

Barbara Rieger , Mai 2024

Für die Rezen­sionen sind die jewei­ligen Verfas­se­rInnen verantwortlich.

 

Sophia Lunra Schnack: feuchtes holz
Salz­burg: Otto Müller 2023
320 Seiten
27 EUR
ISBN: 978–3‑7013–1308‑2

 

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