Zeiten der Langeweile – Jenifer Becker
Eine Rezension von Cornelia Stahl
Sehnsucht nach Nähe im digitalen Zeitalter
Für Mila, dreißig Jahre alt, gehört der morgendliche Smartphonecheck zur festen Gewohnheit. Soziologen würden sie zur Generation Z zählen (umgangssprachlich Zoomer genannt). Jene Generation, die mit digitalen Medien aufgewachsen ist und viel Zeit mit ihnen verbringt. Doch Mila verspürt den Wunsch nach Abkehr von der täglichen Sichtbarkeit im Netz und löscht alle Informationen, die über sie im Internet existieren.
„Ich begann mich im Oktober 2021 aus dem Internet zu löschen“, S.9. In ihrem Verhalten schwingt die Angst vor Bloßstellung für irgendeine öffentlich getätigte Aussage mit.
„Ich hatte das Gefühl, dass meine öffentliche Bloßstellung nur noch eine Frage der Zeit war“, S.13.
Milas Experiment klingt anfangs erfolgversprechend, führt jedoch in den Folgetagen digitaler Enthaltsamkeit zur Vereinsamung. Ihre Freund:innen distanzieren sich von ihr, und Mila greift auf bewährte Kommunikationsformen zurück: „Nach fünf Tagen ohne Social Media fing ich an, in Geschäften Smalltalk zu führen“, S.21. Ihre Einsamkeit ist für Leser:innen spürbar: „Es war frustrierend zu merken, dass sich nach meinem ‘Drop-out´ niemand mehr für mich interessierte“, S.21. Irgendwann trifft Mila auf Senta, mit der sie nun öfter Zeit verbringt.
Das Ende des Experiments führt Milas Familienmitglieder wieder näher zusammen und generiert einen Neuanfang ihrer Beziehungen. Die Auseinandersetzung mit den Visionen der Hildegard von Bingen überrascht. „Für sie war es ein Engel“, resümiert die Protagonistin, was auch als Sehnsucht nach Nähe und Spiritualität gedeutet werden kann, S.238. Das ist eine von vielen möglichen Lesearten. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Beckers Debütroman die Besonderheiten der Generation Z spiegelt: Den Wunsch nach Zugehörigkeit, Geborgenheit sowie nach Autonomie.
Ein authentischer Schreibstil. Ein Debüt, das ich Leser:innen gern empfehle!
Jenifer Becker, geboren 1988, Autorin, bildende Künstlerin, lehrt und forscht seit 2015 am Literaturinstitut Hildesheim/Deutschland.
Cornelia Stahl, Mai 2024
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Jenifer Becker: Zeiten der Langeweile.
Berlin: Hanser Verlag 2023
240 Seiten
23,70 EURO
ISBN: 978–3‑446–27804‑2
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