Malven­flug – Ursule Wiegele

Eine Rezen­sion von Roswitha Perfahl

Pola­ri­sieren ist Ursula Wiegeles Sache nicht. Nach­drück­lich zeichnet sie Menschen, die versu­chen, unter den eng begrenzten Möglich­keiten von Diktatur und Krieg ein Leben zu leben. Sie kommt ohne Rund­um­schlag gegen rurale Lebens­ent­würfe und vor allem ohne Drastik aus. Trotzdem sind die Themen von Enge und Verlet­zungen in Fami­li­en­bünden und trans­ge­ne­ra­tio­nale Auswir­kungen von Krieg präsent. Das unaus­ge­spro­chene Grauen drängt sich an der Peri­pherie, immer anwe­send, jedoch nie explizit ausge­führt. Damit ermög­licht sie den Figuren eine Komple­xität, die zwischen Schwarz, Weiß und Grau auch sehr viel Farbe zulässt. Unter den Gege­ben­heiten einer Diktatur ist man nur einmal mutig und dann tot, wer über­leben und die Seinen retten will, muss lavieren, und das zeigt Wiegele sehr eindrück­lich an ihren Figuren. Keinem der Fami­li­en­mit­glieder passiert ausge­spro­chen singulär Trau­ma­ti­sches, jedoch mini­miert diese enge fremd­be­stimmte Zeit die Manö­vrier­fä­hig­keit in den Lebens­ent­würfen dras­tisch. Trotzdem versu­chen die Figuren, etwas Selbst­be­stim­mung, Auto­nomie und Souve­rä­nität in ihr Leben zu bringen. Auch wenn es unter der Prämisse der Aufop­fe­rung geschieht, wie bei der Mutter.
Selbst der unsym­pa­thischste Charakter, die unstete, unver­läss­liche Vater­figur, zeigt sich zumin­dest in einer Notsi­tua­tion den Kindern aus erster Ehe gegen­über loyal. In diesem Gefüge aus Groß­el­tern, Frauen und Kindern aus verschie­denen Ehen ergeben sich auf Grund von Flucht und Not der Nach­kriegs­zeit prag­ma­ti­sche Wohn­si­tua­tionen, die heute wohl als Patch­work bezeichnet werden. Auch hier bleibt Wiegele mehr­di­men­sional und urteilt die Figuren nicht ab.
Ausge­wo­gen­heit zieht sich durch das Buch, dabei werden die ideo­lo­gi­schen Verwer­fungen der Erwach­senen nicht ausge­spart, auch nicht die Abwer­tung der Kinder, beson­ders der Töchter.
Und wie in allen Büchern Ursula Wiegeles spannt sich der Bogen der Schick­sale über mehrere Länder. Damit ist Malven­flug wieder ein echter euro­päi­scher Roman, der das Weiter­wirken der gemischt­spra­chigen Grenz­re­gionen über die brutalen Grenz­zie­hungen und Natio­na­li­sie­rungen hinaus erin­nert, verge­gen­wär­tigt und doku­men­tiert.
Wohl­tuend hebt sich Malven­flug auch dadurch ab, dass er einer der wenigen Romane ist, der nicht ledig­lich heutige Figuren/Sprechweisen/Haltungen in ein histo­ri­sches Setting trans­fe­riert. Auch hier hat die Autorin genau recher­chiert, gewis­sen­haft gear­beitet und eine vergan­gene Zeit glaub­haft aufer­stehen lassen.

 

Roswitha Perfahl, im September 2023

Für die Rezen­sionen sind die jewei­ligen Verfas­se­rInnen verantwortlich.

 

Ursula Wiegele: Malven­flug
Salz­burg: Otto Müller Verlag 2023
225 Seiten
23 Euro
ISBN: 978–3‑70131306–8 

 

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