MARRAKESCH BIS JEMEN Anläufe Anreisen / NEPAL & MONGOLEI Anläufe Anreisen / INDIEN & SRI LANKA Anläufe Anreisen – Gerda Sengstbratl
Eine Rezension von Maria Aschenwald
Wie kalt ist Granada im Februar? Wie und wozu wird frau in Marrakesch ver- und hingeführt, wenn der Schatten 40 Grad hat? Welche Farben hat eine Stadt, ein Land? Wo gibt es Wollhäuser und wie fühlen sich Funklöcher an? Welche Assoziationen weckt die Weite oder das Prächtige? Womit muss eine Göttinnenstatue befüllt werden, damit sie wirksam ist?
Gerda Sengstbratls Reiseerzählungen sind keine klassischen Reiseberichte. In jeweils kurzen Kapiteln schildert sie Eindrücke, Wahrnehmungen, Assoziationen und mitunter auch sehr persönliches Erleben und Erinnern.
In Marrakesch bis Jemen finden sich 5 Kapitel zu Granada mit Eindrücken abseits der klassischen Touristenpfade: das Besondere des bewohnten Hauses, eines Viertels, des Alltagslebens, ungewöhnlicher BewohnerInnen und der Kälte zu dieser Jahreszeit, deren Vorteil ein problemloser Besuch der Alhambra ohne Schlange stehen und Wartezeiten ist. Ebenfalls 5 Kapitel widmen sich Marrakesch, der dort herrschenden Hitze, den Farben, Gerüchen, Geräuschen, Geschmäckern, den überbordenden Sinneseindrücken aller Art und dem persönlichen Wahrnehmen und Assoziieren. In einem Kapitel findet sich das Erlebnis orientalischen Tanzes in Ägypten am Nil: „In den Augen der Musiker lernen wir nicht zu tanzen. In ihren Augen erweisen wir dem Tag, dem Licht, den Tönen die Ehre.“ Zwei weitere Kapitel gibt es zu Usbekistan: „Die Ansammlung all dessen, was Menschen an Prächtigem hervorgebracht haben zu sehen, erinnert an die eigene Grazie.“
Jeweils ein Kapitel gibt Eindrücke aus dem Nord- und aus dem Südjemen wieder.
Nepal und Mongolei teilt sich in 7 Kapitel über Nepal und 10 Kapitel über die Mongolei. Nepal birgt Begegnungen mit Göttinnen, Tempeln, einem Schamanen, einem tibetischen Flüchtlingslager und einem tibetischen Ex-Mönch als Führer. Es finden sich Landschaftseindrücke wie: „Über dem See: Morgendunst in kleinen Pirouetten. Später ein Glitzern …“ Die Anstrengungen und besonderen Erfahrungen beim Trekking: „Wenn man lange geht, dann kann es sein, dass man so offensteht, dass es ein Leichtes ist für eine Göttin – sie schwebt ein Weilchen über der Wanderin, lässt sich sachte sinken und verschmilzt. So ist das. Innen wird es hell und weit, als ich so über schimmernde Pfade steige“ werden ebenso beschrieben, wie die Zutaten für das Befüllen einer Tara Göttinnenfigur, die nötig sind, damit diese ihre Wirkung entfalten kann.
In den Kapiteln über die Mongolei geht es um deren Weite, die Stille, in der es keine Ablenkung, kein Handy, kein Internet und Funklöcher ohne Ende gibt, die Kreisstadt, die an Sowjetzeiten erinnert, ein weinendes Kamel und die „Häuser aus Wolle“. Russenjeeps erscheinen „wie kleine Elefanten“ und „man fährt durch Gegenden, in denen nichts das Auge stört“. Erfahrungen in der Wüste Gobi: „Eine Stille mit Wind. Eine weite, mächtige Sonnenstille, menschenfrei, stromfrei, industriefrei, konsumfrei.“ … „Es war stockfinster. Ich sah einen Sternenhimmel bevölkert, wie noch nie in meinem Leben.“ Poetische Beschreibungen der Landschaft und der Gefühle, die diese erweckt, finden sich ebenso wie das Bedauern, eine Kaschmirdecke nicht gekauft zu haben.
Der größte Teil von Indien und Sri Lanka ist verschiedenen Orten und Erfahrungen in Indien gewidmet. In 11 Kapiteln über Erlebnisse in Rajasthan, Kerala, Tamil Nadu, und Madurai erzählt die Autorin von einem Regenzimmer in der Wüste, den immer noch vorhandenen Auswirkungen des Kastenwesens, den sinnlichen Assoziationen, die der Duft einer Körpermilch auslösen kann, und dem Eindruck, den die harte Arbeit von Frauen hinterließ. „ Auf dem Kopf trugen sie große, mit Erde gefüllte Blechschüsseln. Heerscharen von Frauen in brütend stickiger Mittagsluft waren Bagger, Laster, Pressluftbohrer, Kran und pflügten die Wüste.“ In Kerala gibt es „Ayurveda ohne Schnickschnack“ und interessante religionsübergreifende Begegnungen. Wir erfahren auch von Palmblattbibliotheken und dem persönlichen Erleben einer Palmblattlesung.
In den drei Kapiteln über Sri Lanka – „ein wässriges Land“ – wird berichtet, dass die Akupunktur bei einem Meister für die PatientInnen gratis ist. Bezahlen müssen die SchülerInnen – junge ÄrztInnen aus Europa und den Vereinigten Staaten. Die Beobachtung, dass am Flughafen hunderte Frauen – „Mütter, Tanten, Ehefrauen, Großmütter, Töchter“ – mit Sack und Pack auf ihren Dienstbotinnenflug nach Saudi-Arabien und in die Emirate warten, stimmt traurig.
Gerda Sengstbratls Reiseerzählungen eröffnen eine sinnliche Erfahrungswelt, ungewohnte Perspektiven und Betrachtungen, eine poetische Bilderwelt vom Reisen, vom Woanders-Sein. Bei allem Eintauchen in die jeweilige Welt gibt es immer auch einen Bezug zum persönlichen Erlebnis- und Erfahrungshintergrund und einen speziellen Blick auf die Gesellschaft und vor allem auf das Sein der Frauen.
Gerda Sengstbratl, geb. 1960 in St. Georgen am Walde, studierte Anglistik/Amerikanistik und Romanistik, arbeitete als Fremdsprachenlehrerin, forschte, lehrte und publizierte zum Geschlechterverhältnis. Sie ist weitgereist mit Schwerpunkt arabischer Kulturkreis und Subsahara Afrika. Derzeit lebt und arbeitet sie als Autorin und Malerin in Klosterneuburg, veröffentlicht Prosa und leitet Schreibwerkstätten.
Maria Aschenwald, September 2022
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Gerda Sengstbratl: MARRAKESCH BIS JEMEN Anläufe Anreisen, NEPAL & MONGOLEI Anläufe Anreisen, INDIEN & SRI LANKA Anläufe Anreisen
Verlag story.one.publishing 2021
72/80/68 Seiten
14,91 EURO
ISBN-10: 399087358X
ISBN-10:3990873598
ISBN-10:3990873571