Mein Vater, der Vogel – Christian Futscher
Eine Rezension von Cornelia Stahl
Väter und Söhne – eine sonderbare Beziehung
Woran werden wir uns erinnern, wenn wir zurückblicken auf die mit den Eltern verbrachten Kindheitsjahre? Die textlosen Beziehungsgeschichten zwischen „Vater und Sohn“ von Erich Ohser (alias e.o.plauen, 1903–1944) sind landläufig bekannt. Von einer ebenso besonderen Vater-Sohn- Beziehung erzählt Christian Futscher in seinem schmalen Band „Mein Vater, der Vogel“. Warum fiel meine Wahl ausgerechnet auf Futschers „Vatergeschichte“? Sie ist eng verwoben mit seinem Vorgängerroman „Wer einsam ist in der großen Stadt“ (2017). Der feinsinnige Ton begeisterte mich. So auch im vorliegenden Buch. Anfangs bindet der Autor seine Leser*innen ein, liefert Hintergründe zur Entstehungsgeschichte:
Irgendwann habe ich begonnen, die Erinnerungen an meinen Vater aufzuschreiben. … Manches weiß ich nur aus Erzählungen meiner Mutter. … Leider kann ich ihn nichts mehr fragen (S.7).
Zum Zeitpunkt des Verfassens der Texte ist der Vater bereits verstorben.
Die Geschichten fügen sich, Puzzleteilen gleich, zu einem Gesamtbild, in dessen Zentrum die Vaterfigur leuchtet, die Mutter tritt als Nebenfigur in Erscheinung.
Die erzählten Anekdoten wie die von den Bierdeckel-Sprüchen wirken vordergründig humorvoll: „Wir sind wie Oliven“, zitiert der Vater Bohumil Hrabal und schlussfolgert: „Wir sind wie Oliven: nur wenn man uns presst, geben wir unser Bestes“ (S.74). Futschers Textminiaturen spiegeln eine innige Vater-Sohn-Beziehung. Ähnlich der Erzählung Arno Geigers: „Der alte König in seinem Exil“ sind die kurzweiligen Kapitel melancholisch grundiert. Unweigerlich begann ich beim Lesen mit eigenen biografischen Vater-Skizzen.
Christian Futscher, geboren 1960 in Feldkirch, lebt als Autor und Lyriker in Wien. 2008 erhielt er den Dresdner Lyrikpreis. Seine letzte Veröffentlichung: Gute Reise, Eierspeise. Picus, 2020, mit Raffaela Schöbitz, Illustratorin.
Cornelia Stahl, November 2021
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Christian Futscher: Mein Vater, der Vogel
Wien: Czernin-Verlag, Februar 2021
112 Seiten
20 Euro
ISBN: 978–3‑7076–0728‑4