Sabine Scholl über Elfriede Gerstl

Eine Rezen­sion von Cornelia Stahl

Gute Lite­ratur wirkt nach …

betont Sabine Scholl 2020 in einem Inter­view, „und erschließt neue Räume“, möchte ich hinzu­fügen.
Manchmal sind es Umwege, die zum Ziel führen und unbe­kanntes Terrain erschließen. An einem Wiener Thea­ter­abend im TAG – Theater an der Gumpen­dorfer Straße – performten Martina Spitzer und Johanna Orsini Texte von Elfriede Gerstl und eröff­neten mir einen persön­li­chen Zugang zu ihrer lite­ra­ri­schen Arbeit.
Sabine Scholl bietet mit vorlie­gendem schmalen Band über Elfriede Gerstl (1932 – 2009) die ideale Voraus­set­zung, um sich vertie­fend mit der Autorin zu beschäf­tigen, die 2022 ihren hundertsten Geburtstag gefeiert hätte.
Im Vorwort geht Julia Daniel­czyk auf Gemein­sam­keiten beider Autor­innen ein und fokus­siert im zweiten Schritt konkrete lite­ra­ri­sche Beispiele Elfriede Gerstls.
Drei Kapitel umfasst das Büch­lein aus der Serie „Autor­innen feiern Autor­innen“, die für sich genommen eine Ausnahme im Lite­ra­tur­be­trieb ist. Die Reihe rückt öster­rei­chi­sche Autor­innen in den Fokus. Sabine Scholl, die Elfriede Gerstl persön­lich kannte, beleuchtet ihre biogra­fi­sche und lite­ra­ri­sche Seite. Insbe­son­dere im Abschnitt „Hat neun einen schönen Klang?“, S.35, markiert sie das Unver­kenn­bare in Gerstls lite­ra­ri­scher Arbeit, zum Beispiel „Das Kleine“ (Kapi­tel­über­schrift), die konse­quente Klein­schrei­bung, die die Autorin bevor­zugte (gegen­wärtig miss­ver­standen, wie Kommen­tare zur Peter Huchel-Preis­ver­lei­hung an die Lyriker Judith Zander belegen). „Das Vorläu­fige, schwer zu Fassende ist als Lebens­weise und sprach­li­ches Verfahren für Elfriede Gerstl eben­falls bedeu­tend“, S.37.
Das dritte Kapitel konzen­triert sich auf Gerstls Lang­ge­dicht „Klei­der­flug oder lost clothes“, welches dama­lige Lebens­um­stände und Beson­der­heiten des Aufwach­sens spie­gelt: „1942 packte Mutter den kleinen Flucht­koffer“, S.47.
Im abschlie­ßenden Kapitel „Nach­wir­kungen“ reflek­tiert Sabine Scholl Gerstls lite­ra­ri­sche Erfolge und spart auch nicht die Zeiten des Schei­terns aus: „der Tod hilft nicht, um eine Posi­tion im Kanon zu erwirken“, S.85.
Scholls Essay trägt dazu bei, dass weib­liche Stimmen vermehrt wahr­ge­nommen (gehört und gelesen) werden, gegen­wärtig und zukünftig, und (neben männ­li­chen Autoren) einen gleich­be­rech­tigten Platz auf lite­ra­ri­schen Land­karten einnehmen.
Sabine Scholl, geboren 1959 in Ober­ös­ter­reich. Lehr­tä­tig­keit im Ausland, lebt seit 2019 wieder in Wien. 2022 erhielt sie den Lite­ra­tur­preis der Stadt Wien. 

 

Cornelia Stahl, Februar 2023

Für die Rezen­sionen sind die jewei­ligen Verfas­se­rInnen verantwortlich.

 

Sabine Scholl über Elfriede Gerstl
Wien. Berlin: Mandel­baum Verlag, 2022
96 Seiten
13 Euro
ISBN: 978385476–942‑2

 

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