Schreibtisch mit Aussicht. Schriftstellerinnen über ihr Schreiben – Ilka Piepgras (Hg.)
Eine Rezension von Brigitta Höpler
In der Anthologie „Schreibtisch mit Aussicht“, herausgegeben von Ilka Piepgras, erzählen 24 Schriftstellerinnen aus Europa und USA über ihr Schreiben. Was sie antreibt, wie sie beginnen, wie sie weiterschreiben, was sie ermutigt, wie sie dranbleiben, unter welchen Umständen sie schreiben. Mit welchen Klischees und Vorurteilen sie zu kämpfen haben.
So unterschiedlich wie die Autorinnen sind auch die Herangehensweisen, über das je eigene Scheiben zu erzählen. Was sich eindrücklich zeigt: Es gibt kein „weibliches“ Schreiben, wie es auch kein „männliches“ oder sonstiges Schreiben gibt, sehr wohl aber weibliche Schreibumstände unter oft prekären Arbeitsbedingungen.
Deborah Levy macht aus Andy Warhol einen halben Tschechen, tatsächlich stammt seine Familie aus der Ostslowakei. Ich bin nur deswegen kurz an dieser Stelle hängen geblieben, weil mir plötzlich bewusst wurde, dass ich südosteuropäische Schriftstellerinnen vermisse. Sie haben oft noch einmal andere politische und gesellschaftliche Bedingungen, die ihr Schreiben beeinflussen.
Ausgangspunkt dieser Anthologie ist der Essay „Still writing/Ich schreibe nur“ von Anne Tyler. Ob sie schon Arbeit gefunden hätte, oder immer noch nur schreibe, wurde sie von einer anderen Mutter vor der Schule ihrer Kinder gefragt. Entlang dieser Frage entstand ihr Essay. Sie erzählt von Romanen im Kopf, die nicht und nicht zu Papier kommen. „Ich habe so lange gebraucht, Grenzen um den Teil von mir zu errichten, der schreibt, bis ich gelernt habe, die Tür zu schließen, wenn der Alltag wieder einmal hereinplatzt.“
Das Thema der Abgrenzung, das Zerfallen der Zeit in zwei Teile (das Schreiben und der Alltag, oft mit Kindern), das Hin und Her Wandern zwischen unterschiedlichen Welten, davon erzählen viele der Autorinnen.
Sehr berührend und auf den Punkt gebracht, beschreibt Kathryn Chetkovich in ihrem Essay „Neid“, wie es sich anfühlt, als Schriftstellerin mit einem erfolgreichen Schriftsteller zusammen zu leben. „Worum ich ihn beneidete, war, was sein Talent und sein Erfolg ihm verschafft hatten, nämlich das Gefühl, dass das, was er tat, das Richtige war. Ich wollte, was Frauen immer wollen: Erlaubnis. Aber die hatte er bereits gehabt, bevor er das Buch geschrieben hatte. Wahrscheinlich war genau sie es, die ihn dazu befähigt hatte, das Buch zu schreiben“. Sie schließt ihre Erzählung mit einem Akt der Selbstermächtigung, sich die Erlaubnis zu schreiben zu geben, „als die Arbeit, die sie sich ausgesucht hat“.
Ähnlich Antonia Baum: „Vielleicht leidet mein Glaube an mich und mein Schreiben also auch an der Macht des männlich geprägten Schriftsteller-Schriftsteller-Klischees, nämlich der Idee, man müsse lange, lange allein sein und sich ohne Zeitdruck und Effizienzgedanken in etwas versenken könne, um etwas Gutes zustande zu bringen“. Die Selbstzensur und der fehlende Glaube an sich selbst sind wiederkehrende Themen in diesem Band.
Sehr klar kommt in dieser Anthologie auch heraus, dass Schreiben Arbeit ist, harte Arbeit, Übung braucht, Konsequenz und wenig mit Genialität und sonstigen Klischees zu tun hat.
Viele Beiträge sind zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt und veröffentlicht. Ein schön gestaltetes Buch, so inspirierend wie entlarvend. Eine empfehlenswerte Lektüre für alle Schreibenden, auch für den Lehrgang Schreibpädagogik. Und da nicht nur rund um die Workshops „Berufsbild AutorIn“ und „Schreiben Frauen weiblich“.
Brigitta Höpler, Februar 2021
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Ilka Piepgras (Hg): Schreibtisch mit Aussicht. Schriftstellerinnen über ihr Schreiben
Kein und Aber, Zürich 2020
288 Seiten
23,00 Euro
ISBN: 978–3036958262