Reigen Reloaded – Barbara Rieger (Hg.)

Eine Rezen­sion von Britta Mühlbauer

Barbara Rieger hat jeweils fünf Autor­innen und Autoren einge­laden, Schnitz­lers Reigen ins 21. Jahr­hun­dert zu über­tragen und in Prosa zu über­setzen. Die Spiel­regel lautet: Jede/r „erbt“ eine Figur aus der voran­ge­gan­genen Episode.

Schnitz­lers Figuren sind auf ihre gesell­schaft­liche Funk­tion redu­ziert – die Dirne, das Stuben­mäd­chen, die Schau­spie­lerin, der Soldat, der Graf, der Dichter … An ihnen spielt Schnitzler durch, was den mensch­li­chen Paarungs­vor­gang über­la­gert – Moral­vor­stel­lungen, ökono­mi­sche Abhän­gig­keiten, Geschlech­ter­rollen – und ihn zu einem Kräf­te­messen zwischen den Betei­ligten macht.
Im Reigen Reloaded haben die Figuren Namen, Berufe, Biogra­fien und wir können ihre Gedanken mithören.

Da entblößt sich eine Vier­zehn­jäh­rige am Handy für den Schul­wart, bei dem in der nächsten Episode eine Studentin/Kellnerin/Aussteigerin Verständnis statt Sex sucht; ihren Chef serviert die Kell­nerin ab, was diesem gar nicht schmeckt. Er kommt aber bei einer Gale­ristin auf seine Kosten, die sich für die Untreue ihres Mannes rächt, der wiederum völlig vernarrt ist in eine junge Frau, die seine Tochter sein könnte, was ihm einen Anflug von schlechtem Gewissen und ein kleines Malheur beschert. Die junge Frau erweist sich in der folgenden Episode als eine, die sich des Macht­spiels, das hinter sexu­ellen Bezie­hungen läuft, durchaus bewusst ist, während der egozen­tri­sche Schrift­steller nach Sätzen sucht, die seine Erfah­rungen tref­fend beschreiben. Diesen Schrift­steller begehrt eine Schau­spie­lerin, die fürchtet, sich in ihn zu verlieben; einen wohl­ha­benden älteren Herrn hingegen verleibt sie sich ein wie Cham­pa­gner; er findet sich in der letzten Episode in einer fremden, ärmli­chen Umge­bung wieder, der er seine Status­sym­bole entge­gen­setzt, ahnend, dass er das Wesent­liche übersieht.

Wie bei Schnitzler gelingt es den Autor­innen und Autoren des Reigen Reloaded, nicht Partei zu ergreifen, egal wie unaus­ge­gli­chen das Kräf­te­ver­hältnis zwischen den Figuren sein mag. In manchen Episoden ist die Sprache erotisch so aufge­laden, dass Daniela Strigl in ihrem Vorwort von einer „Wollust der Sprache“ spricht, andere haben nah an der Komik gebaut.

Obwohl es ausdrück­li­cher als bei Schnitzler zur Sache geht, gibt es keine pein­li­chen Sexszenen. Der Akt selbst wird ausge­spart, ange­deutet, meta­pho­ri­siert; in einer Episode gerät er zur nächt­li­chen Schlitt­schuh­partie, deren Beschau­lich­keit der Hormon­sturm des Orgasmus beendet.

Auch im neuen Reigen haben Sex und Liebe nichts mitein­ander zu tun. Vor allem die weib­li­chen Figuren schre­cken vor einer emotio­nalen Bindung zurück. Die Gale­ristin gibt ihrem Lieb­haber gar die Anwei­sung: „Ich kann dich erst wieder­sehen, wenn ich dich nicht mehr wieder­sehen will.“

Der Reigen Reloaded glit­zert wie eine Disco­kugel: Je nachdem, wohin die Autor­Innen ihre Aufmerk­sam­keit richten, blitzen unter­schied­lichste Facetten sexu­eller Bezie­hungen auf.

 

Britta Mühl­bauer, Februar 2021
Für die Rezen­sionen sind die jewei­ligen Verfas­se­rInnen verantwortlich.

Barbara Rieger (Hg.): Reigen Reloaded
Mit Texten von Daniela Strigl, Gertraud Klemm, Gustav Ernst, Daniel Wisser, Bettina Balàka, Michael Stavarič, Angela Lehner, Martin Peichl, Barbara Rieger, Thomas Stangl und Petra Gangl­bauer. Mit dem Origi­nal­text von Arthur Schnitzler.
Kremayr & Sche­riau, 2021
Euro 22,90
ISBN: 978–3‑218–01226‑3

 

Mehr zum Buch
Mehr zur Heraus­ge­berin
Mehr zu Britta Mühlbauer