Thesaurus Rex – René Gisler, Eva Braun, Petra Meyer, Armin Müller (Hg.)

Eine Rezen­sion von Günter Vallaster

Ein Nach­schla­ge­werk? Flach­schla­ge­werk? Lach­schla­ger­werk?
Alles zusammen! So präsen­tiert sich Thesaurus rex, das welt­weit erste Koffer­wör­ter­buch, 1064 Seiten stark, mit zahl­rei­chen Abbil­dungen versehen und in edles Leinen gebunden. Mit Koffer­wort, Schach­tel­wort, Port­man­teu­wort wird jene wohl häufigste Art des Wort­spiels bezeichnet, bei dem zwei oder mehrere Wörter inein­ander verschränkt, gefaltet und geschlichtet werden, sodass witzige Neukrea­tionen entstehen, die über­ra­schende Bedeu­tungs­welten aufschnappen lassen oder bestehende Bedeu­tungen mit seman­ti­schen Doppel- und Mehr­fach­böden auskleiden.

Oft werden am Ausgangs­wort nur ein bis einige Buch­staben ausge­tauscht, ergänzt oder wegge­lassen, wodurch es auch als Para­gramm bezeichnet werden kann. Und wie es bei Spielen so ist, können sie süchtig machen und dieser produk­tiven und krea­tiven Wort­spiel­sucht verfallen ist René Gisler aka Phra­sa­deur, Autor, Künstler und seines Zeichens Neolo­gist, der 2001 den Prototyp „Der Enzy­klop. Ein Wörter­buch“ mit 3500 Stich­wör­tern veröf­fent­lichte, woraus 2006 der Blog enzyglobe.net als „Platt­form für Wort­neu­schöp­fungen“ entstand, in dem er mit inzwi­schen ca. 300 weiteren Autor/innen uner­müd­lich Wort­hy­bride sammelt und versammelt.

Daraus wurde 2019 von René Gisler, Eva Braun, Petra Meyer und Armin Müller die vorlie­gende einzig­ar­tige Enzy­klo­pädie gegossen und es konnte dafür nur ein Verlag mit einem Koffer­wort im Namen in Frage kommen, nämlich der „Gesunde Menschen­ver­sand“ in Luzern.

Beispiele aus dem exqui­siten Schrank­koffer gefällig?

Da purzeln munter der Maul­würfel und das Paten­tier heraus, der Patagei flat­tert auf, Alfred Jarry und die Pata­physik, sein Konzept der absur­dis­ti­schen Philo­so­phie grüßend, ein Zebrar, ein „selt­zahmer, strei­figer Eihufer“ rappelt sich auf, die Arro­gans schüt­telt sich, das Atom­bambi rührt sich. Der Beun­rater lässt sich bevor­monden, der Pausen­fühler trifft sich mit dem Pausen­klon. Und so lässt sich’s fröh­lich im Wühl­schrank weiter­wühlen, in der Undgrube stöbern, im Weltzer schmö­kern, auf den Wort­wällen surfen, in der Wort­spiel­hölle versa­cken.
Und zu welchem Nutzen und Vorteil soll das Lach­werk gerei­chen? Zunächst einmal dem besten: Keinem! Oder doch: Wort­spiele sind in fast aller Munde und Schreib­hand, und das ist gut so, da sie die Krea­ti­vität fördern, den Verstand­streifen, also das Gehirn beschäf­tigen und die Lach­mus­keln stärken können.

Vom Kalauer bis zur Perle ist alles erlaubt und möglich und im besten Fall stellen sie eine ideale Würze für jeden Text dar, um ihn geschmack­lich abzu­runden. Doch wurde das Wort­spiel schon gespielt?, fragt sich so manche/r lite­ra­risch Schrei­bende beim Verfassen eines Textes, wenn sich eines anbietet verwendet zu werden – gilt es doch, origi­nell zu sein und so zu spielen wie noch nie jemand zuvor.

Es sei aber an dieser Stelle behauptet: Jedes spiel­bare Wort­spiel kann früher oder später von jemandem gespielt werden. Aber auch: Das Wort­spiel­uni­versum ist unend­lich. Tatsäch­lich heißen die häufigsten Urheber/innen von Wort­spielen Anonymus und Unknown und dank Internet und Ecosia ist es heut­zu­tage leichter geworden, schon gespielte Wort­spiele zu finden. Das soll aber nicht vom Wort­spielen abhalten, im Gegen­teil: Jemanden zu finden, der oder die das eigene Wort­spiel schon spielte, ist allemal eine lustige Begeg­nung – und spricht für das Wort­spiel. Für derlei Begeg­nungen ist Thesaurus rex vorzüg­lich geeignet, sowie als Inspi­ra­tion dafür, die Wort­spiele darin aufzu­greifen und weiterzuspielen.

Und trotz der statt­li­chen ca. 16.000 Einträge kann es natür­lich nie voll­ständig sein, muss es auch nicht, wie kein Wörter­buch der Welt, und es könnten in der Art des Pyra­miden- oder Kathe­dra­len­baus wie etwa das „Deut­sche Wörter­buch“, das 1838 von Jacob und Wilhelm Grimm begonnen und 1961 beendet wurde, noch viele Thesauri erstellt werden.

In gewisser Weise ist Thesaurus rex eine Anti­these zu konven­tio­nellen Wörter­bü­chern, die den allge­meinen Sprach­ge­brauch abbilden, ihn kodi­fi­zieren, mit Regeln zur Schrei­bung und Verwen­dung versehen. Koffer­wörter hingegen haben es an sich, dass sie oft kurz aus dem Wörter­meer auftau­chen und nach dem Delfinsprung als Augen­blicks­bil­dungen gleich wieder abtauchen.

Eine Lexi­ka­li­sie­rung wird erst durch häufige Verwen­dung erreicht und dazu bedarf es der Hilfe von Medien, Social Media, Werbung oder auch Lite­ratur, die sie in aller Munde und als Neolo­gismen in herkömm­liche Wörter­bü­cher bringen. Häufige, lexi­ka­li­sierte oder zumin­dest immer wieder mal irgendwo begeg­nende Koffer­wörter sind auch im Thesaurus rex enthalten, wie etwa das Wurst-Käs-Szenario, das auf Schwy­zer­dütsch als Worscht-Kääs-Szenario sowie als Wörstkäs verzeichnet ist, oder auch der Zier­kuss.

Sie stellen darin aber eher eine Minder­heit dar, da es sich um ein Autor/innen-Wörter­buch handelt und im Gegen­satz zur gängigen Lexi­ko­grafie kein breites Text­korpus zumin­dest syste­ma­tisch ausge­wertet wurde – was auch ein span­nendes Projekt wäre, aber eben, um das Auchweh zu vergrö­ßern: auch ein Fass ohne Boden und ein Lang­zeit­for­schungs­pro­jekt, das vieler Mitarbeiter/innen bedürfte.

Ein Wörter­buch oder Lexikon erscheint aber mehr formal als Vergleichs­re­fe­renz für den fried­lich-fröh­li­chen Wort­dino Thesaurus rex, durch die alpha­be­ti­sche Listen­an­ord­nung, Lemma-Kate­go­ri­sie­rungen wie Neutsch, Narrungs­mittel oder English broken und – natür­lich in schönen Wort­spielen gehal­tenen – Bedeu­tungs­er­läu­te­rungen. Viel­mehr wirkt es wie ein riesiges konzep­tu­elles Listen­ge­dicht, eine gigan­ti­sche Dada-Collage aus Zufällen und Tipp­feh­lern, ein aufs Wort fokus­sierter „Lexikon-Roman“ in der Art von Andreas Okopenko oder auch ein nach dem Prinzip „Kunst aufräumen“ von Ursus Wehrli sortierter „Finne­gans Wake“ von James Joyce. Eine Entzück­lo­pädie ersten Ranges!

Günter Vallaster, September 2019

 

René Gisler, Eva Braun, Petra Meyer, Armin Müller (Hg.)
Thesaurus Rex
Luzern: Verlag Der gesunde Menschen­ver­sand
1064 Seiten
EUR 89,00
ISBN 978–3‑03853–086‑2

 

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