Vom Zähmen, Ausbeuten und Bestaunen. Essays. Eine unge­ord­nete Kultur­ge­schichte der Natur – Bettina Balàka

Eine Rezen­sion von Barbara Rieger

Bettina Balàka ist nicht nur eine produk­tive, sondern auch eine viel­sei­tige Autorin: Alleine im Haymon Verlag erschienen zuletzt der Roman „Der Zauberer vom Cobenzl“ (2023), eine Gedicht-und Kurz­pro­sa­samm­lung „Die glück­li­chen Kinder der Gegen­wart“ (2024) und der vorlie­gende Essay­band. In diesem setzt Balàka sich in zehn unter­schied­lich langen Essays mit unserem Verhältnis zur Natur auseinander.

Schon im ersten kurzen Beitrag „Zoobe­such mit Kinder­schnitzel“ erklärt sie anschau­lich die kogni­tive Disso­nanz, die unser (gegen­wär­tiges, west­li­ches!) Verhältnis zur Natur prägt: „Kogni­tive Disso­nanz entsteht bei nicht mitein­ander zu verein­ba­renden Haltungen und Hand­lungen. Man will nicht, dass Tiere leiden, will aber trotzdem Fleisch essen. Dieser psycho­lo­gi­sche Konflikt löst unan­ge­nehme Gefühle aus, man versucht ihn mit allen Mitteln zu vermeiden. Niemand könnte sich noch amüsieren, wenn das Schreck­liche sichtbar würde.“ (S. 17f)

Und doch gelingt es der Autorin im vorlie­genden Band auf wunder­same Weise trotz der Schreck­lich­keiten, die sie uns gut sichtbar serviert, einen Rest Amüse­ment zu bewahren. Es ist nicht (nur) der Spaß daran, den Finger in die Wunde zu legen oder gelegt zu bekommen oder der Genuss an der ziel­si­cheren Hand­ha­bung des Skal­pells der Sprache. Viel­leicht ist es eine gewisse Freude an der (Selbst-)Erkenntnis?

Im längsten, härtesten und für mich zentralen Essay „Nicht Fisch, nicht Fleisch: Wenn Bewusst­ma­chung die Geschmacks­nerven verän­dert“ erzählt die Autorin, dass sie Fleisch liebte und das, obwohl sie schon als Jugend­liche im Hühner­stall mitar­bei­tete. „In meinem Kopf gelang es mir, eine Mauer einzu­schieben zwischen dem Anblick im Hühner­stall und dem Anblick auf meinem Teller, so wie man es eben machen musste, wenn man satt werden wollte.“ (S. 89) Das Unbe­hagen stellte sich schlei­chend ein. Persön­li­cher Kontakt mit den Turopolje-Schweinen bei einer Feier auf einem Weingut: „Bevor man das Fleisch aß, konnte man sich verge­wis­sern, dass es ihnen gut ging. Ich verge­wis­serte mich, dass es ihnen gut ging, und konnte sie nicht mehr essen.“ (S. 74). Die Begeg­nung mit einer kommu­ni­ka­tiven Sepia während eines Tauch­gangs und schließ­lich der Doku­men­tar­film „The End of Meat“. Bettina Balàka wurde zur Vege­ta­rierin und obwohl sie andere nicht direkt über­zeugen möchte, es ihr gleich­zutun, führt sie uns vor Augen: „Das Nahrungs­mittel Fleisch ist tief verwur­zelt in unserer Geschichte und Kultur“ (S.85), unser heutiger Umgang damit ist – ich, die Rezen­sentin kann nicht anders, als es hier so pole­misch zusam­men­zu­fassen – schlichtweg krank.
Und als Ansatz für einen anderen Umgang – in den Worten der Autorin, die es auf den Punkt bringen: „Hühner haben Gefühle. Menschen auch.“ (S.91)

In einem weiteren Beitrag mit dem Titel „In andere Häute schlüpfen: Empa­thie in der Lite­ratur“ analy­siert Balàka lite­ra­ri­sche Ausein­an­der­set­zung mit Tieren, wie z.B. „The Terrapin“ von Patricia High­s­mith, „Die Spitzin“ von Marie von Ebner-Eschen­bach oder „Black Beauty“ von Anna Sewell, und zeigt unter­schied­liche Möglich­keiten des Unver­ständ­nisses, der Grau­sam­keit und der Einsicht auf.
Im längeren Essay „Kraut und Unkraut: Vom Anbauen und Verbauen“ verwebt sie subjek­tive Erfah­rungen mit histo­ri­schen Infor­ma­tionen, wissen­schaft­liche Erkennt­nisse mit Glau­bens­sätzen unserer kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft und weist uns als Drauf­gabe mittels lite­ra­ri­scher Beispiele auf die Gleich­set­zung des Weib­li­chen mit der Natur hin. Eines ist jeden­falls – ganz unpo­le­misch – klar: Der gesell­schaft­liche Umgang mit Natur ist nicht nur paradox, sondern in höchstem Maß destruktiv.

Als „ambi­va­lent“ bezeichnet Balàka das Verhältnis des Menschen zur Natur im Vorwort. Mit „toxic rela­ti­onship“ wirbt der Klap­pen­text. Während ersteres mir nach der Lektüre fast als beschö­ni­gend erscheint, ist zwei­teres irre­füh­rend, legt es doch nahe, dass „die Natur“ die Bezie­hung zum Menschen verlassen oder auflösen könnte. Doch kann sie das? Findet das Leben, wie im berühmten Film „Jurassic Park“ (1993) gesagt wird, immer einen Weg? Wollen wir es hoffen?

In diesem Jahr hält die Autorin drei Work­shop beim BÖS (Hier der Link zum zeit­nä­hesten: https://www.bös.at/schreibworkshops/stilistik-feinheiten-und-feinschliff/). Als Unter­rich­tende ist sie übri­gens ebenso hervorragend.

 

Barbara Rieger, März 2025

Für die Rezen­sionen sind die jewei­ligen Verfas­se­rInnen verantwortlich.

 

Bettina Balàka: Vom Zähmen, Ausbeuten und Bestaunen. Essays. Ein unge­ord­nete Kultur­ge­schichte der Natur
Inns­bruck: Haymon Verlag 2024
2013 Seiten
22,90 EUR
ISBN 978–3‑7099–7039‑3

 

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