Zwischen euch verschwinden – Gudrun Lerchbaum
Eine Rezension von Britta Mühlbauer
Maria sitzt am Bett ihrer toten Mutter, die sie jahrelang gepflegt hat. Sie weiß nicht, ob sie bei deren letztem, tödlichem Erstickungsanfall mit einem Kissen nachgeholfen hat. Denn immer wenn es brenzlig wird, flüchtet sich ihr Bewusstsein in Absencen. Getrieben von Angst und Schuldgefühlen, aber auch von der Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer, verlässt sie ihren Heimatort Eichschlag. Es folgt eine monatelange Odyssee durchs halbe Land.
Auch in ihrem fünften Roman „Zwischen euch verschwinden“ gelingen Gudrun Lerchbaum außergewöhnliche Figuren, die Leser:innen ans Herz wachsen. Maria ist keine strahlende Heldin. Bekannte meinen, sie sei ein wenig dumm, und Maria hat diese Beschreibung als Selbstbild akzeptiert. Doch es steckt mehr in ihr. Sie vereint Naivität mit genauer Selbstbeobachtung, Duldsamkeit mit dem Willen zu Freiheit und Unabhängigkeit. Sie will reisen, tanzen, Sex haben. Vor allem aber ist sie anpassungsfähig und beharrlich. Sei Teig, sei Wachs, sei Wasser, ist eines der Mantren, die sie sich zurechtlegen wird, um die Herausforderungen zu meistern, vor die die Autorin sie stellt.
Auf ihrem Road-Trip gerät Maria an ein paar ausgewachsene Bösewicht:innen und findet – mehr oder weniger zuverlässige – Helfer:innen. Sie ist gezwungen zu improvisieren und entdeckt, dass sich die Wahrheit beugen lässt, dass sie, mit einem Wort, lügen kann. Leider bekommt sie dadurch neue Probleme. Und es gibt auch weitere Tote.
Schließlich findet Maria eine Mentorin, die ihr zeigt, wie man sich wehrt. Ioanela Stoica ist eine rumänische 24-Stunden-Pflegerin auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Mann, den sie um eine beträchtliche Geldsumme erleichtert hat. Sie zwingt Maria einen Namens- und Identitätswechsel auf. Maria schlüpft in die Rolle von Ioanela, einer 24-Stunde-Pflegerin mit rollendem R.
Ein herkömmlicher Krimi ist das nicht, vielmehr eine tragikomischer Krimi-Version im Stil der Coen-Brüder. Gudrun Lerchbaum pflastert Marias Weg mit dramatischer Ironie und spart nicht mit bösen Seitenhieben. Sozial- und Zeitkritik spielen in Lerchbaums Romanen immer eine große Rolle. Diesmal geht es um die Zumutungen, denen Frauen in Dienstleistungsberufen und in der 24-Stunden-Pflege ausgesetzt sind.
Mit „Zwischen euch verschwinden“ gelingt der Autorin ein leichtfüßiger und vor allem sehr spannender Roman mit einer Hauptfigur, die für jeden kleinen Fehler übermäßig abgestraft wird. Wir begleiten Maria durch bedrückende und lebensbedrohliche Situationen bis zu einem kleinen Glück und an ein, an Ironie kaum zu überbietendes, Ende mit Weihnachtsstimmung und Punschkrapfen.
Britta Mühlbauer, im April 2024
Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich.
Gudrun Lerchbaum: Zwischen euch verschwinden
Wien: Haymon 2023
251 Seiten
16,90 EUR
ISBN 978–3‑7099–8210‑5
Mehr zum Verlag
Mehr zum Buch
Mehr zur Autorin
Mehr zur Rezensentin